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Gnosis
Die Gnosis oder auch Gnostizismus bzw. Gnostik bedeutet "Erkenntnis" und ist eine spirituell-synkretische Strömung, die ihre Blütezeit in der Spätantike im 2. und 3. Jahrhundert hatte. Dabei handelt es sich nicht um eine, sondern um eine Vielzahl verschiedener Lehren und Gruppierungen. Die Gnosis war der theologische Hauptgegner der frühen Kirche und dem jungen Christentum, weswegen sie wegen gefährlicher Häresie ("Ketzerei") bekämpft wurde.
Erkenntnisart der Gnosis
Die Erkenntnisart der Gnosis ist eine auf innerer Erfahrung beruhende Offenbarung des Geistigen. Sie möchte eine religiöse Erkenntnis vermitteln und verzichtet darum auf eine rationale Begründung. Die Gnosis ist demnach keine Philosophie, sie lehnt die Philosophie sogar ab. Der erste historisch fassbare Gnostiker, Simon Magus, sagt dazu:
„Es ist wahr, dass in diesen Wissenschaften, die allgemein üblich sind, jeder, der nicht gelernt hat, auch nicht Kenntnis hat, in Sachen der Gnosis aber hat einer gelernt, sogleich wie er gehört hat."
(vgl. Ernst Haenchen, Martin Kruse: Die Gnosis - Zeugnisse der Kirchenväter, 1997, S. 7f)
Die Gnosis möchte zwar durch hellsichtige Bilder die übersinnliche Welt im Inneren schauen, aber sogleich auch erkennen, nicht nur erleben. Der Forscher Hans Leisegang definiert die Erkenntnisart der Gnosis so:
„Gnosis ist Erkenntnis des Übersinnlichen, das in und hinter der durch die Sinne des Körpers wahrnehmbaren Welt „in ewigem Geheimnis unsichtbar sichtbar“ als treibende Kraft alles Geschehens angenommen wird... Das Übersinnliche selbst aber wird als ein System von Ideen gedacht, die zugleich kosmische Kräfte sind und als persönliche göttliche Wesen, als Dämonen, Geister, Engel oder als Gestalten der heidnischen und christlichen Mythen vorgestellt wurden, die das Schicksal der Welt und des Menschen in ihren Händen tragen.“
– Hans Leisegang: Die Gnosis, S 1
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Gnosis als Luziferische Weisheit
LautRudolf Steinerhandelt es sich bei der Gnosis um eineluziferische Weisheit, da sie nach einer verfrühten Entwicklung der Menschheit zum Geistigen hin strebt, ohne wichtige Entwicklungsmöglichkeiten auf der Erde mitzunehmen:
"Wenn die älteren christlichen Lehrer noch Nachklänge der alten hellseherischen Begriffe anwandten, um das Mysterium von Golgatha zu erfassen, so blieben natürlich diese hellseherischen Begriffe ihrem eigentlichen Nerv nach den späteren Jahrhunderten unverständlich, und im Grunde genommen ist das, was man Gnosis nennt, gewöhnlich nichts anderes als das Nachklingen alter hellseherischer Begriffe. Man versuchte, mit alten hellseherischen Begriffen das Mysterium von Golgatha zu begreifen, und hellseherische Begriffe verstand man später nicht mehr, nur abstrakte Begriffe. Daher verkannte man dasjenige, was die Gnosis eigentlich wollte.
Nun würde man aber die Sache sehr einseitig ansehen, wenn man einfach sagen würde: Da gab es also eine Gnosis, die hatte noch alte hellseherische Begriffe, die noch bis ins 1., 2., 3. Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha hereingingen, und dann kamen die unverständigen Leute, die nicht fähig waren, die Gnostiker zu verstehen. - Das wäre sehr einseitig, so zu denken. In einem gewissen vollkommenen Sinne mit hellseherischen Begriffen zu arbeiten, gehört einer viel älteren Zeit an als der Zeit, in die das Mysterium von Golgatha hineinfiel, einer viel älteren Zeit. Und diese hellseherisch erfaßten Begriffe waren schon ganz luziferisch infiziert, das heißt: das alte hellseherisch-begriffliche Erfassen war schon luziferisch durchdrungen, und diese luziferische Durchdringung des alten hellseherischen Begriffssystems, das ist die Gnosis. Es mußte deshalb eine Art Reaktion gegen die Gnosis entstehen, weil die Gnosis eben die aussterbende alte hellseherische Begriffswelt war, die schon von Luzifer infizierte alte hellseherische Begriffswelt."
– Rudolf Steiner, Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls, GA 165, S. 201f
Gnosis und Anthroposophie
Die Anthroposophie unterscheidet sich insofern von der Gnosis, als dass sie die naturwissenschaftliche Methode und Beobachtung zum Erkenntnisgewinn voraussetzt (Bewusstseinsseele), während die Gnosis eine "aus alter Zeit bewahrte Erkenntnisart" (Rudolf Steiner), nämlich der ägyptisch-chaldäischen Zeit, ist, die nach dem hellsichtigen Erkenntnisgewinn (Empfindungsseele) hin orientiert war.
"Die Anthroposophie kann nicht eine Erneuerung der Gnosis sein, denn diese hing an der Entfaltung der Empfindungsseele. Anthroposophie muß im Lichte der Michael-Tätigkeit aus der Bewußtseinsseele heraus ein Welt- und Christus-Verständnis auf neue Art entwickeln. Die Gnosis war die aus alter Zeit bewahrte Erkenntnisart, die das Mysterium von Golgatha bei seinem Eintritte am besten zum Menschenverständnisse bringen konnte."
– Rudolf Steiner - Anthroposophische Leitsätze, GA 26, S. 212
"Derjenige, der nun wirklich eingeht bloß auf das, was in diesen Vorträgen geboten worden ist, der wird gar nicht in die Versuchung kommen, wenn er andererseits die Gnosis auch kennt, diese Anthroposophie, die durchaus mit neuen Erkenntnismitteln und Erkenntnismethoden auftritt und mit dem Bewußtsein der Menschheit der Gegenwart rechnet, irgendwie zusammenzuwerfen mit der Gnosis. Diese Anthroposophie arbeitet ja so, daß sie voraussetzt die naturwissenschaftliche Entwickelung der letzten Jahrhunderte. Die Gnosis rechnete natürlich nicht damit, denn ihr Dasein ging der naturwissenschaftlichen Entwickelung voraus."
– Rudolf Steiner - Damit der Mensch ganz Mensch werde, GA 82, S. 202f
Hauptmerkmale der Gnosis
Die Lehren der Gnostiker wurden hauptsächlich im Verborgenen, nicht öffentlich, verbreitet. Daher ist eine genaue Bestimmung der Lehren auch nicht einfach, zumal es viele verschiedene Strömungen innerhalb der Gnosis gibt.
An Originaltexten – vor allem in koptischer Sprache – sind zu nennen:
- Codex Askewianus, der das Werk Pistis Sophia enthält (einer der wichtigsten koptisch-gnostischen Texte, welcher Lehrgespräche enthält, die Jesus noch nach seiner Auferstehung mit den Jüngern gehalten haben soll),
- Codex Berolinensis Gnosticus 8502 mit dem Evangelium der Maria, dem Apokryphon des Johannes und der Sophia Jesu Christi,
- Codex Brucianus, der neben anderem die Bücher des Jeû enthält.
Die fünf Wesensmerkmale der Gnosis nach Kurt Rudolph (1990)
- Dualismus: der Gnostizismus vertritt die Auffassung eines Gegensatzes zwischen Gut und Böse sowie die Existenz eines transzendenten, verborgenen Gottes und eines niederen Schöpfergottes (Demiurg)
- Kosmogonie: Dualitäten herrschen in der Schöpfung selbst: Licht und Finsternis, Geist und Fleisch; das Böse war von Anfang an in der Schöpfung vorhanden
- Soteriologie: Die Erlösung wird in der Gnosis über den Weg der Erkenntnis des dualistischen Charakters der Welt beschritten.
- Eschatologie: Ziel des Gnostikers ist es, sich in den Ort des Guten hinein zu bewegen und die Herrschaft des Geistes in der eigenen Existenz zu erkennen
- Gemeinde und Kult
Dazu gehören die folgenden Thesen:
- Es gibt einen vollkommenen allumfassenden Gott.
- Durch einen eigenmächtigen bzw. selbstbezogenen Akt in den Äonen tritt ein unvollkommener Gott ins Dasein. Dieser wird Demiurg oder Schöpfergott genannt, weil er seinerseits eigenmächtig das materielle All erschafft.
- Der Demiurg wird in vielen gnostischen Schriften mit JHWH identifiziert, dem Gott des Tanach, des Alten Testaments der Bibel.
- Daher gehen die Gnostiker davon aus, dass Jesus von Nazareth nicht der Sohn des Gottes der Juden ist, sondern – als eine Inkarnation des Christus – das Kind der vollkommenen Gottheit, also geistig verstanden, nicht etwa körperlich.
- Ebenfalls erschafft der Demiurg den Menschen und verbringt diesen in immer dichtere Materie.
- Die Schöpfung (und der Mensch) tragen jedoch grundsätzlich das Prinzip der ursprünglichen vollkommenen Gottheit in sich, von dem sie nicht zu trennen sind.
- Einige gnostische Strömungen sehen die materielle Welt inklusive menschlichem Körper als „böse“ an, andere legen den Schwerpunkt auf das innewohnende geistige Prinzip, das den Rückweg zur geistigen Vollkommenheit respektive Einheit ermöglicht.
- Das innewohnende geistige Prinzip, auch Pneuma, Funke oder Samenkorn genannt, muss dem Menschen in Abgrenzung zur Psyche bewusst werden, um die Verhaftungen an die materielle Welt erkennen und lösen zu können.
Die Entstehung der Gnosis als Offenbarung des Geistigen im Inneren Erleben
Die hellsichtigen Erfahrungen der Gnostiker konnten nur innerlich erlebt, nicht aber mit Worten beschrieben oder allgemein verständlich gemacht werden, schon gar nicht nach dem Mysterium von Golgatha, nach dem die Verstandesseele erwachte, und die inneren Bilder für die Verstandeskräfte zu schattenhaften Gebilden verblassten:
"Ein bedeutsamer Umschwung tritt ein, wenn sich die Empfindungsseele entfaltet. Die Offenbarung des Göttlichen durch die Sinne dämmert ab. An die Stelle tritt das Wahrnehmen der gewissermaßen entgöttlichten Sinneseindrücke, der Farben, Wärmezustände und so weiter. Im Innern offenbart sich das Göttliche in geistiger Form, in Bild-Ideen. Und der Mensch nimmt die Welt von zwei Seiten her wahr: von außen durch die Sinnes-Eindrücke, von innen durch die ideenhaften Geist-Eindrücke.
Der Mensch muß nun dazu kommen, die Geist-Eindrücke so bestimmt, so gestaltet wahrzunehmen, wie er vorher die durchgöttlichten Sinnes-Eindrücke wahrgenommen hat. - Solange das Zeitalter der Empfindungsseele waltet, kann er das. Denn aus seinem inneren Wesen steigen ihm die Ideenbilder in vollgestalteter Art auf. Er ist von innen erfüllt mit einem sinnlichkeitsfreien Geist-Inhalt, der ein Abbild des Welt-Inhaltes ist. Haben sich ihm früher die Götter im sinnlichen Kleide geoffenbart; sie offenbaren sich ihm jetzt im Geist-Kleide.
Das ist das Zeitalter der eigentlichen Entstehung und des Lebens der Gnosis."
– Rudolf Steiner - Anthroposophische Leitsätze, GA 26, S. 208