Veda und lebendiger Logos

Veda und lebendiger Logos

Anthroposophie und Integraler Yoga im Dialog

von Klaus J. Bracker |

Dieses Buch wartet mit einer Entdeckung auf: Der Logos, die Ausrichtung auf Geist und lebendiges Wort, ist nicht nur das durchgängige Motiv des hellenisch-jüdisch-christlichen Abendlandes, sondern bereits des indisch-vedischen Orients. Müssen wir unser Bild der Geistesgeschichte ändern?


EAN 9783957790019

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Veda und lebendiger Logos unternimmt eine Zusammenschau innig verwandter Motive des Integralen Yoga und der anthroposophischen Spiritualität und gelangt zu verblüffenden Konvergenzen in Leben und Werk von Sri Aurobindo und Rudolf Steiner. Welche Rolle spielt Krishna für Steiner – und welche Bedeutung hat Christus in der Sicht Aurobindos? Dieses Buch gibt Auskunft.„Der Verfasser hat es seit einer langen Reihe von Jahren als eine Aufgabe verstanden und hat erfahren, wie dieselbe in der Seele brennt: gemäß der Aufforderung Rudolf Steiners ein neues Sprechen über Christus in einer zuvor nicht gewohnt gewesenen Sprache mit vorzubereiten; zu sprechen über ein neues Christus-Licht – wohlgemerkt, nicht eine Lichtspiegelung aus vorchristlicher Zeit –, ein neues Licht, das sich, aus dem Osten kommend, dem Licht hier im Westen verbinden will.“

(Klaus J. Bracker)



Rezension

Der Prozess der Globalisierung hat sich seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rasant beschleunigt. Er betrifft auch die religiösen und spirituellen Strömungen. Bei zahlreichen Menschen wächst das Bedürfnis, die vielfältigen geistigen Traditionen und Richtungen in einen Austausch miteinander zu bringen und mit gegenseitigem Verständnis zu durchdringen. An diesem Punkt setzt die jüngste umfangreiche Veröffentlichung Veda und lebendiger Logos. Anthroposophie und Integraler Yoga im Dialog von Klaus J. Bracker an, die Anfang dieses Jahres im Verlag Mayer/Info3 erschienen ist.

Der Autor, seit den späten 1970er Jahren mit der Anthroposophie vertraut und ein ausgewiesener Kenner indischer Geistigkeit, stellt die spirituellen Konzepte Sri Aurobindos und Rudolf Steiners, den Integralen Yoga und die Anthroposophie, einander gegenüber und bringt sie in ein facettenreiches Gespräch.

Eröffnet wird dieses Gespräch mit einem Blick auf die vedische Frühzeit, deren Ursprünge nach Sri Aurobindo und Steiner in einer älteren Zeit vermutet werden können, als dies die Indologie des 20. Jahrhunderts mit der Theorie der arischen Invasion sieht. Es folgt die fesselnde Biografie Sri Aurobindos. Eindringlich und quellennah schildert Bracker dessen Werdegang vom politischen Kämpfer für die Unabhängigkeit Indiens zum berufenen Yogi, der sich immer stärker den Inspirationen Krishnas öffnet und sich als von ihm geführt erlebt. Ab 1910 erfolgt der Aufbau seines Ashrams im südindischen Pondicherry, seit 1920 mit der umsichtigen und tatkräftigen Unterstützung durch die Französin Mira Alfassa, seine Lebensgefährtin. Sie hatte von Kindheit an spirituelle Erfahrungen und sollte nach dem Tod Sri Aurobindos am 5. Dezember 1950 als verehrte »Mutter« die Geschicke des Ashrams weiterführen.

Der Ertrag von Sri Aurobindos geistigen Forschungen ist der Integrale Yoga, den er in zahlreichen Büchern – die wichtigsten Titel sind Das göttliche Leben, Die Synthese des Yoga, Das Geheimnis des Veda – sowie in einem umfangreichem Brief- und Tagebuchwerk niedergelegt hat. Die drei Hauptzweige des indischen Yoga – der Jnana-Yoga (der Yoga der Erkenntnis), der Bhakti-Yoga (der Yoga der liebenden Hingabe an das Göttliche) und der Karma-Yoga (der Yoga der Werke) – werden im Integralen Yoga zusammengeführt. Dabei richtete sich das energische Streben Sri Aurobindos weniger auf die Ausgestaltung der Lehre als auf das meditative Ringen um das Durchstoßen zu einer Bewusstseinssphäre, in die das »Supramentale«, die Wahrheit des Göttlichen, sich einsenken kann. Der Integrale Yoga, so legt Bracker überzeugend dar, ist somit ein »Yoga der Herabkunft« mit »besonders starkem Akzent hinsichtlich der Transformation gerade auch der physischen Körperlichkeit«; das bis zu achtstündige tägliche meditative Gehen, das Sri Aurobindo als »Graben« bezeichnet hat, »bedeutet ein fortgesetztes Hineinarbeiten in den physischen Körper, ins Unbewusste, um die höheren Qualitäten des Übermentalen, des Supramentalen zur Transformation der irdischen Existenz herunterzubringen.«

Die sich in diesem Motiv des Inkarnatorischen andeutende Nähe zum Christentum und auch zur Anthroposophie wird im Fortgang des Buches weiter verfolgt und ausgestaltet.

So beschäftigt sich das dritte Kapitel mit der Auffassung vom »schöpferischen Wort« im Sanatana Dharma, der »ewigen Religion« Indiens – der Ausdruck »Hinduismus« wird aufgrund seiner kolonialen Herkunft vom Autor konsequent vermieden – und in der abendländischen Überlieferung. Für die indische Religiosität zentral ist dabei bis in die Gegenwart hinein die Lehre vom »Sonnenwort« der Veden, das im Mantram »Om« bzw. »Aum« meditativ vergegenwärtigt wird und die spirituellen Dimensionen von schöpferischer Potenz, Gedankenlicht, Liebe und lebensspendender Kraft in sich vereinigt.

Geht man nun, wie Bracker das tut, der Entfaltung der abendländischen Traditionslinie des schöpferischen Logos von Heraklit über die Stoa und Philon von Alexandrien bis zum Prolog des Johannes-Evangeliums nach, so erscheint die Logos-Idee wie »eine letzte Gabe Asiens an das europäische Geistesleben«. Entsprechend haben Sri Aurobindo und Rudolf Steiner unabhängig voneinander sich mit den verschiedenen Überlieferungen beschäftigt und auf ihre wechselseitigen Bezüge hingewiesen, wobei nach Bracker Steiner bei seinen Deutungen das Logoswirken »stärker hinsichtlich der konkreten Schöpfung im Bereich der Lebensprozesse im Auge hat, während Sri Aurobindo eher einen transzendentalen Gesichtspunkt einnimmt«.

Eine weitere Parallele zwischen dem Begründer des Integralen Yoga und Rudolf Steiner zeigt sich im Bemühen, dem Evolutionsgedanken eine spirituelle Wendung zu geben, womit sich das vierte Kapitel auseinandersetzt. Beide haben mit der Schwierigkeit gerungen, die Darwinsche Lehre vom Hervorgehen höherer Organismen aus niederen mit ihrer Auffassung vom schöpferischen Wort in Beziehung zu setzen, beide haben darauf hingewiesen, dass die Phänomene des Lebens und des Bewusstseins nicht als bloße Epiphänomene der Materie zu denken sind, beide haben den dynamischen, krisenhaften, stets zu qualitativen Sprüngen bereiten Charakter der Evolution aufgezeigt, beide haben schließlich von der Perspektive gesprochen, dass die natürliche und später kulturelle Evolution in eine spirituelle einmünden werde. Im Zusammenhang mit diesen Aspekten erscheint bemerkenswert, dass Rudolf Steiner sich mit der Lehre von der Herabkunft von »zehn Avataren« – Manifestationen des Göttlichen – befasst hat, wie sie in dem vermutlich zwischen 500 und 1000 nach Christus verfassten Bhagavata Purana entfaltet worden ist. Dabei setzt er – ähnlich wie Sri Aurobindo – diese Lehre in Beziehung zur natürlichen, kulturellen und spirituellen Evolution und verweist auf die Nähe zur esoterischen Rosenkreuzer-Chronik, die ebenfalls von zehn Metamorphosen des Sonnenlogos spreche. Dabei werde der zehnte Avatar, Kalki, von den Rosenkreuzern mit der Wiederkunft Christi identifiziert: »Der zehnte Avatar: das ist der, der da kommen wird: Kalki sagt das Indische … Christus war für die Rosenkreuzer dieser Kommende …« (Rudolf Steiner: Über die astrale Welt und das Devachan (GA 88), Dornach 1999, S. 153) Die Ähnlichkeit der Imaginationen, die im Bhagavata Purana und der Apokalypse des Johannes auf diesen Kommenden verweisen, ist auffallend: Er erscheint als Reiter auf einem weißen Pferd, ausgestattet mit dem Schwert der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit.

Diese Affinität vom Motiv des noch kommenden Erlösers im indischen und christlichen Geistesleben wird durch Sri Aurobindo und Rudolf Steiner entscheidend vertieft, was Bracker im fünften Kapitel behandelt. In den Jahren 1910 und 1911 spricht Steiner in zahlreichen Vorträgen über das Wiedererscheinen Christi, das sich nicht in physischer Weise, sondern in der Sphäre des Lebendig-Ätherischen vollziehe, im Laufe des 20. Jahrhunderts mehr und mehr Menschen bewusst werde und die Sensibilität für geistige Wahrnehmungen nachhaltig verstärke. Etwa gleichzeitig, zuerst im Jahre 1912, findet sich in Sri Aurobindos Essay The Yoga and Its Objects die Anmerkung, im Integralen Yoga gehe es »nicht um das persönliche Ananda (die persönliche Seligkeit, d. V.), sondern um das Herunterleiten des göttlichen Ananda – das Himmelreich des Christus, unser Satyayuga (Zeitalter der Weisheit, d. V.) – auf die Erde«. Und ab 1920, gehäuft ab 1927, spricht Sri Aurobindo von der Herabkunft des »Supramentalen«, das den meditativen Aufstieg der Seele zum Göttlichen herausfordere und ermögliche. Bewegend ist nun zu sehen – das wird von Klaus J. Bracker sorgfältig herausgearbeitet – wie Sri Aurobindo dieses Geschehen zum Wirken des Christus in Beziehung setzt. In seinem Epos Savitri, einer 24.000 Blankverszeilen umfassenden Dichtung aus den 1930er und 1940er Jahren, stellt Sri Aurobindo dar, dass die »Großen, die erscheinen, um die leidensvolle Welt zu retten«, sich selbst »unter das Joch von Leid und Schmerz« beugen müssen: »Des Himmels Schätze bringen sie. Mit ihren Leiden zahlen sie den Preis … Der Gottes-Sohn, geboren als der Menschen-Sohn, hat jenen bitteren Kelch geleert … Der Ewige erträgt das Leiden in der menschlichen Gestalt«.

Damit steht man vor einer weit tragenden Perspektive, die sich in die Frage kleiden lässt: Haben Sri Aurobindo und Rudolf Steiner, unabhängig voneinander, Einblick gewonnen in das gleiche, menschheitlich sich vollziehende spirituelle Geschehen? Sind Integraler Yoga und Anthroposophie als geschwisterliche Strömungen zu betrachten, die nach Ablauf des »finsteren Zeitalters«, von dem beide sprechen, den Weg in eine geistoffenere Zeit weisen?

Es ist Klaus J. Bracker in seiner breit angelegten, kenntnisreichen Studie, die noch drei informative Anhänge über das Guruprinzip, über die Anfänge Aurovilles und über Johannes Hohlenberg bietet, der persönlicher Schüler Sri Aurobindos wie Rudolf Steiners war, in schöner Weise gelungen, den Integralen Yoga und die Anthroposophie in einen lebendigen Dialog zu bringen. Damit eröffnet das Buch eine neue Sicht auf eine wichtige Strömung moderner indischer Spiritualität und ist geeignet, im Umfeld der Anthroposophie manche Vorbehalte gegenüber der Spiritualität des Ostens abzubauen. Andererseits lädt es Menschen, die mit dem Schulungsweg des Yoga verbunden sind, zu einer gut fundierten Beschäftigung mit der Anthroposophie ein. Eine äußerst lesenswerte Veröffentlichung! 

Quelle: Die Drei, Heft 11, 2014

Erscheinungsdatum: 05.02.2014
Auflage: 1.
Seiten: 325
Einbandart: Paperback
ISBN: 978-3-95779-001-9