Die Doppelnatur des Ich

Die Doppelnatur des Ich

Der übersinnliche Mensch und seine Nervenorganisation

von Herausgegeben von Wolfgang Schad |

Rudolf Steiner hat wiederholt mit Nachdruck die übliche Interpretation der dualen Nervenleitungen angefochten. Im Nervensystem lägen nicht zweierlei verschieden benutzte Nerven, nämlich für das Wahrnehmen einerseits und für den Bewegungswillen andererseits vor, sondern alle Nerven vermitteln Wahrnehmungen.


EAN 9783772512827

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Zur Lösung einer Kontroverse

Rudolf Steiner hat wiederholt mit Nachdruck die übliche Interpretation der dualen Nervenleitungen angefochten. Im Nervensystem lägen nicht zweierlei verschieden benutzte Nerven, nämlich für das Wahrnehmen einerseits und für den Bewegungswillen andererseits vor, sondern alle Nerven vermitteln Wahrnehmungen.

Inhaltsverzeichnis

Bruno Sandkühler: Zur Geschichte der Begriffe motorische und sensitiveNerven | Irene Buchanan: Geschichtlicher Abriss der Duplizitätstheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart | Hans-Jürgen Scheurle: Der Bewegungssinn und das Problem der Motorischen Nerven | Otto Wolff: Nerv und Muskel. Biochemische Grundlagen zum Verständnis ihrer Funktion | Wolfgang Schad: Das Nervensystem und die übersinnliche Organisation des Menschen | Auszüge aus Werken Rudolf Steiners mit einer Einleitung von Herbert Hensel und Hans-Jürgen Scheurle


Rezension

Bei der im Juni diesen Jahres erschienenen Schrift handelt es sich um eine gekürzte Neuausgabe der 1992 erschienenen, zweibändigen Sammlung Die menschliche Nervenorganisation und die soziale Frage, in der neben Wolfgang Schad als Herausgeber weitere acht Autoren zu der Frage der motorischen Nerven aus unterschiedlichen Perspektiven Stellung nehmen. Die Beiträge von Hans-Jürgen Scheuerle, Gerhard Gutland und Ernst Michael Kranich aus der Erstausgabe wurden nicht mehr aufgenommen, alles andere ist bis auf wenige kleine Änderungen und Ergänzungen unverändert geblieben, auch die zusammengestellten Darstellungen Rudolf Steiners zu diesem Thema. An Aktualität haben die Beiträge nicht verloren.

In den ersten beiden Kapiteln geben Bruno Sandkühler und Irene Buchanan einen historischen Überblick, wie sich die Anschauung und das Verständnis der Nervenfunktion und ihr Zusammenhang mit Wahrnehmung und Bewegung des Menschen seit der Antike entwickelt haben. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. erwachte aus einer bisherigen, rein religiösen Verwurzelung der Blick für die äußeren Erscheinungen. Hippokrates und Alkmaeon von Krotos waren die ersten Denker, die von einer rein philosophischen Betrachtung zu einer anatomisch-physiologischen Wissenschaft fortgeschritten sind, die dann von Aristoteles und später von Galen als Strömungstheorie (Pneumalehre) weiterentwickelt wurden und in ihren Kernaussagen eigentlich bis ins 18. Jahrhundert gültig war. Erst mit der Erforschung der bioelektrischen Phänomene setzte sich die bis heute etablierte neurophysiologische Reizleitungstheorie durch. Die Autoren beschreiben wissenschaftshistorisch den Übergang, wie sich das Interesse vom Miterleben der im Menschen wirksamen Kräfte über die gedankliche Erfassung bis hin zur experimentellen Untersuchung verlagert hatte.

In dem Kapitel Nerv und Muskel. Biochemische Grundlagen zum Verständnis ihrer Funktion gibt Otto Wolff (1921-2003) eine klare phänomenologische Darstellung der physiologischen und biochemischen Grundlagen von Wille und Bewegung einerseits, Wahrnehmung und Denken andererseits. Überall, wo letzteres vorliegt, tritt der Stoffwechsel zurück. Das Denken ist an die weiße Substanz (Myelin) des Gehirns gebunden, einer metabolisch inaktiven, inerten, wachsartigen Substanz, die mit zunehmender Bewusstheit einer Wahrnehmung oder Handlung vermehrt an den Fasern der entsprechenden Nerven gebildet wird. Der Wille hingegen als Quelle jeder Handlung, als bewegungsgenerierende Kraft, ist auf den Stoffwechsel angewiesen: »der Schlüssel zum Verständnis des Anfangs der Bewegung liegt im Muskel, nicht im Nerv.«

Der holländische Arzt Leendert F. C. Mees (1902-1990) stellt in seinem Beitrag Das Problem der motorischen Nerven und des sozialen Bewusstseins die Polarität von Wille und Nervenprozess in einen größeren sozialpolitischen Zusammenhang: »Amerika und mit ihm der Westen sind der Quell des Formenden im sozialen Leben der heutigen Menschheit, der Osten ist der Quell des Wollens, der Wärme, des Feuers.« Was hier im Globalen auseinandergelegt ist, gilt es im Menschen in seinem qualitativen Zusammenwirken zu verstehen; eine mehr unbewusste, schlafwandlerische Kraftseite – das Muskelsystem als »kristallisiertes Karma« (Rudolf Steiner) – und die bewusste, wache, mehr formende Nerven-Sinnes-Seite.

Einen sehr gehaltvollen und praxisnahen Beitrag zum Thema Bewegung schreibt der Kinderarzt und Heilpädagoge Georg von Arnim (1920- 2000). Er zeigt, wie wir in dem gesamten Bewegungsbild und in der Plastizität der Motorik einen unmittelbaren Ausdruck der Inkarnation des Menschen vor uns haben. Verhaltensstörungen sind immer mit Bewegungsstörungen verbunden. Von Arnim stellt sehr ausführlich dar, wie die einzelnen Bewegungsmodalitäten mit den höheren Wesensgliedern zusammenhängen.

Im letzten Beitrag gibt Wolfgang Schad eine konzentrierte Zusammenfassung der bislang gewonnenen natur- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse.

Ergiebig und für die gesamte Thematik zentral ist hierbei die Differenzierung des Ich in seinen eigentlichen, lebendig aktiven Wesensteil und die leibgebundene, bloße Vorstellung davon, die traditionell im Gehirn verortet wird und in der gängigen Vorstellung als das eigentliche Ich angesehen wird. Die Doppelnatur des Ich hat also eine zentrische Perspektive der vollbewussten, gehirnvermittelten, die Welt spiegelnden Seite seines Wesens und polar dazu des mit der Welt und der Gestaltungskraft der Gliedmaßen verbundenen, meist noch unbewussten, peripheren Ich. Erstere ist mit den afferenten (zentripetalen), letzteres mit den efferenten (zentrifugalen) Nervenprozessen verbunden.  

Quelle: Die Drei, Heft 12, 2014

Extras: Überarbeitung und Neuausgabe von "Die menschliche Nervenorganisation und die soziale Frage" Band 1 & 2

Erscheinungsdatum: 07.2014
Auflage: 1. Neuausgabe
Seiten: 434
Einbandart: kartoniert
ISBN: 978-3-7725-1282-7