... der ganz alltägliche Missbrauch - Aus der Arbeit mit Opfern, Tätern und Eltern

... der ganz alltägliche Missbrauch - Aus der Arbeit mit Opfern, Tätern und Eltern

von Mathias Wais, Ingrid Gallé |

Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage


EAN 9783867830072

Hersteller: Info 3

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Es gibt eine Grauzone um den Missbrauch …

Aus dem Vorwort: »Das Thema »sexueller Missbrauch« hat eine Außenseite und eine Innenseite. Die Außenseite lässt sich mit Zahlen, Definitionen und Symptomen beschreiben: Wie häufig kommt ein Missbrauch vor? Werden mehr Mädchen als Jungen missbraucht? Welche Wahrscheinlichkeit besteht für ein Opfer, erneut missbraucht zu werden? Wie viele Kinder fallen dem durchschnittlichen Missbraucher zum Opfer? Wie viel Prozent der Mütter von Betroffenen wissen, dass ihr Partner ihr Kind missbraucht? Welche Verhaltensauffälligkeiten zeigen Kinder in einer Missbrauchssituation? – Auf Fragen dieser Art gehen wir hier nicht ein. Es gibt sehr viele lesenswerte und instruktive Bücher, die sich mit ihnen beschäftigen. Solche Aspekte der Außenseite können mit einem Sprechen über dieses Thema behandelt werden.

Unser Anliegen ist es dagegen, den Missbrauch von der Erlebniswelt, von der Innenseite her zu beschreiben. Was erlebt das Opfer, der Missbraucher, das Umfeld? Und: Was erleben wir alle, die Öffentlichkeit und die Fachwelt, an dem Thema »sexueller Missbrauch«? Wie können wir es verstehen, wie können wir uns zu ihm verhalten? Genauer: Wie wollen wir zu ihm stehen? Die Betrachtung der Innenseite kann sich nicht mit einem Sprechen über dieses Thema begnügen.

Dieser Ansatz vom Erlebnis her führt uns zu der Auffassung, dass sexueller Missbrauch kein isolierbares, scharf und präzise umschreibbares Ereignis ist, sondern – ungemütlicherweise – sich nahtlos einfügt in den ganz alltäglichen Umgang mit Überlegenheit und Macht den Kindern gegenüber. Es gibt eine Grauzone um den Missbrauch, die das Beschreiben mit Zahlen, Definitionen und Symptomen als unzureichend erweist. Sexueller Missbrauch ist nicht nur sexueller Missbrauch. Ist daraus auch noch keine bündige Erklärung für den Missbrauch zu erwarten, so wollen wir doch mit diesem Ansatz einen Aspekt des Themas herausarbeiten, der in der bisherigen Debatte vernachlässigt wurde, aber zum Verständnis des Missbrauchs als gesellschaftliches Phänomen beitragen kann.

Wir schreiben wir über das, was wir in der praktischen Arbeit mit den Opfern, den Missbrauchern, den Müttern, dem Umfeld und in der allgemeinen Erziehungsberatung erleben und was wir daraus ableiten. Wir beschreiben, was wir auf diesem Feld in den letzten Jahren erlebt haben. Deshalb sind einzelne Passagen auch durchaus persönlich gehalten. Es handelt sich insofern um einen Werkstattbericht, von dem keine Rezepte zu erwarten sind. In erster Linie geht dieses Buch aus unserer gemeinsamen Arbeit und unserer Zusammenarbeit in diesem Bereich hervor. Und wenn wir uns die Niederschrift der Kapitel auch untereinander aufgeteilt haben, so wurde es insofern doch durchgängig gemeinsam geschrieben.

Wie alle Texte über sexuellen Missbrauch, so ist auch dieser ungemütlich zu lesen. Wir gehen davon aus, dass er darüber hinaus streckenweise auch anstrengend ist, denn auf wohl keinem anderen Feld menschlichen Erlebens ist es derart mühselig, die Wirklichkeit dingfest zu machen. Der Leser wird sich beteiligt sehen an einer Spurensuche im Nebel.« Mathias Wais / Ingrid Gallé

 

Inhalt

Vorwort

  • Eine kurze Geschichte der Empörung

Was geschieht beim sexuellen Missbrauch?
Wer tut so etwas?
Wer ist betroffen?
Welche Hinweise geben die Kinder?
Welche Folgen tragen die Kinder?
Was wird die Empörung bewirken?

 

  • »Es ist einfach passiert« – Strategien der Missbraucher

Vorbereitung
Aufrechterhaltung
Aufdeckung
 

  • »Ich kann nichts dafür« – Die »Triebtheorie« des Missbrauchers

Der psychodynamische Konflikt
Männliche Norm
Pädophilie
 

  • »Was Frauen mit Kindern tun, tun sie aus Liebe«? – Missbraucherinnen

Weniger Frauen als Männer missbrauchen Kinder?
Sexueller Missbrauch durch Frauen ist nicht so schlimm?
Frauen missbrauchen nicht so gewalttätig wie Männer?
Missbraucherinnen sind selbst missbraucht worden?
Ein Mann hat sie gezwungen?
Diese Frauen sind abartig?
In der Regel internalisieren Frauen Gewalterfahrungen und richten sie nicht wie Männer gegen andere?
Es gibt kaum Opfer, die davon berichten!
Was hat das mit mir als Frau, als Beraterin zu tun?
 

  • »Er sagt, es ist Liebe« – Vom Erleben des Opfers

Ich wurde ausgewählt
Jetzt bin ich nicht mehr allein – aber damit bin ich allein
Meine Eltern stimmen zu
Ich stehe zu ihm
Warum gehe ich immer wieder hin?
Im Labyrinth der Schuld
Er sagt mir, was Wirklichkeit ist
Ich möchte mich verbergen
Ich kann es niemandem sagen
Ich bin schmutzig
Ich soll nicht ich werden
Die Einbahnstraße
Aufdeckung
Bin ich ein richtiger Junge?
 

  • So nah und so fern – Die Mutter

Erziehung zur Frau
Beziehung zum Lebenspartner
Beziehung zwischen Mutter und Kind
Weibliche Machtstrategien
Aufdeckung
Was tun mit den Müttern? – Arbeit mit Müttern nachsexuellem Missbrauch
 

  • »Tu’s mir zuliebe« – Die alltägliche Übermächtigung

Das Kind als Verfügungsmasse – Emotionale Ausbeutung im Erziehungsalltag
Strategien der alltäglichen Übermächtigung
Offene und verdeckte Macht
Ich kann nur ich sein, wenn du kein Ich bist
Das gefügige Individuum
Fließender Übergang zum sexuellen Missbrauch
Fazit
 

  • Die Befreiung vom Missbraucher – Zur Psychotherapie missbrauchter Frauen und Männer

Die Präsenz des Missbrauchers
Erinnerungsarbeit
Ablegen des Opferstatus – Konfrontationsarbeit
Das Kind taucht auf
Durchbrechung der Geheimnisbindung
Einbeziehung des Partners
Nach der Therapie
Gruppen-Kurzzeittherapie
 

  • »Wo ist das Problem?« – Präventive Arbeit mit Missbrauchern

Ziel und Vorgehensweise
Das Setting
Bedingungen
Rekonstruktionsarbeit
Opferempathie lernen
Übernahme der Verantwortung
Selbstkontrolle
Über den Missbraucher hinaus?
Erfolgskontrolle
Therapie mit Opfern und Arbeit mit Missbrauchern

Nachwort – Die Macht und das Ich

Literatur

 

Über die Autoren:

Mathias Wais,

geboren 1948, studierte Psychologie, Judaistik und Tibetologie in München, Tübingen und Haifa und schloss als Diplompsychologe ab. Eine psycho-analytische Ausbildung und Forschungen folgten.
Er leitet seit 1985 das Dortmunder Zentrum »Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene« und ist Autor zahlreicher Sachbücher. Ausgedehnte Vortrags- und Seminartätigkeit.

Ingrid Gallé,

arbeitet als Jugend- und Erziehungsberaterin in Dortmund; sie ist u.a. Sprecherin der AG »Hilfen bei sexueller Gewalt« der Stadt Dortmund und Mitarbeiterin der dortigen »Freien Jugendarbeit e.V.«.

 

224 Seiten, Broschur
EUR 16,80 
ISBN 978-3-86783-007-2