Katalog Bilder und Texte zur Dreigliederung eines sozialen Organismus
von Rainer Schnurre |
Der vorliegende Katalog beinhaltet Bilder und Texte der Ausstellung "Dreigliederung eines sozialen Organismus" . Der Zyklus umfasst 43 Leinwand-Bilder. Texte und Bilder wollen zu fruchtbaren Gesprächen anregen, vielleicht sind manche sogar für manche aufregend.
EAN 9783899792607
Hersteller: Möllmann, Ch
Rezension
In Ausstellungsräumen auf einem Rundgang Kunstwerke zu besichtigen ist das eine; ein anderes in einem Buch zu blättern und die abgebildeten Werke zu betrachten. Die körperliche Bewegung, die der Rundgang erfordert, ist im zweiten Fall auf ein Minimum beschränkt und gibt der Beweglichkeit des Geistes mehr Freiheit – so habe ich es hier, mehr als sonst, erlebt. Ich hatte es nicht leicht, zu Rainer Schnurres Projekt Zugang zu finden. Gut, dass es das Katalogbuch gibt, habe ich mir schließlich gesagt. Dank an den Verleger, der das Wagnis auf sich genommen hat, dieses in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Buch herauszugeben!
Der Katalog ist als Gesamtkunstwerk gestaltet: Bild, Textinhalt und Typografie klingen zusammen. Der Aufbau ist im Hauptteil stets mehr oder weniger gleich: links die farbige Wiedergabe eines gemalten Bildes, darüber ein Zitat von Rudolf Steiner mit genauer Quellenangabe und auf der rechten Seite ein Text von Rainer Schnurre, der die Bildaussage ergänzt oder erweitert. So ergänzen sich Bilder und Texte zu 33 Dreigliederungs-Meditationen, danach folgen noch 11 »Sozial aufregende, aber doch auch anregende Meditationen«.
Der Bogen spannt sich vom Meditationstext »Ich – Du – Wir« zu der Aussage: »Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist die Christus gemäße Gestalt«; und dann in einem zweiten Bogen vom Schlüsselwort »Empörung« bis zum »Himmels-Anker« mit der Botschaft: »Die soziale Frage ist eine über-sinnliche Frage«. Alle Bilder enthalten auch Text, d.h. in das Gemälde sind Buchstaben, die sich zu einem Text verbinden, hineingemalt. Die genannten Beispiele sind zugleich Bildtitel und einverleibter Bestandteil des Gemäldes.
Genau mit dieser Eigenheit hatte ich von Anfang an meine Schwierigkeiten und habe sie immer noch, wenn auch etwas abgemildert. Schnurres Bilder sind farbkräftig und ich würde mich gerne jeweils in die Farbe vertiefen, vielleicht sie zum Anlass einer Meditation nehmen – wenn nur nicht immer sich die Buchstaben davor drängen würden … Dieser Stil mag als Gedanken-Kunst gelten, wirklich künstlerisch ist das nicht. Statt der Ausdruckskraft der Farbe zu vertrauen, enthalten die Bilder im wortwörtlichen Sinne ihre eigene Erläuterung.
Die Schnurre-Texte, die oft in Frageform daherkommen, wirken unterschiedlich: mal banal, mal (wort)spielerisch, oft verblüffend und immer zum Denken, Nachsinnen oder Nachempfinden anregend. Meistens lässt mich der Autor mit offenen Fragen zurück – doch ist das in seinem Sinne: »Der Gang im Katalog will anregen, über diesen Dreigliederungsimpuls ins permanente Gespräch zu kommen.«
Ein paar Beispiele aus den 33 DreigliederungsMeditationen: »Nein = Freiheit«; »Ja = Liebe«; »Ein Nein setzt immer zugleich ein JA voraus. Das ist die Tragik des Atheisten ...«; »Ai ist ein Schmerzenslaut. Die Klageweiber schrien es früher, wenn ein Mensch verstorben war. [...] Ia sprich JA wird zur, durch den Schmerz geläuterten, sanften Liebe.« (II und III) »Durch Nein + Ja zu Freiheit und Liebe = Mensch.« (IV) »Wir: Ist Dir bewusst, dass es zwei grundverschiedene Wir gibt? Es gibt ein ausschließendes Wir und das verbindende Wir.« (VII) »Frei werden kann der Mensch nur in seiner eigenen Seele.« (XIX) »Gleich werden kann der Mensch nur im allverbindenden Geiste.« (XX) »Würde? Ich würde es wagen mit Dir zu sprechen. Ich würde das Gespräch mit Dir auch immer wieder suchen. Die Würde des Menschen ist sein Menschliches im Mensch-Sein.« (XXI) »Amok & Koma: Diese beiden Selbstläufer sind im heutigen sozialen Organismus zu einem unzertrennlichen Zwillingspaar geworden.« (XXVIII) »Das Geistesleben verkümmert kraftlos im Koma.« (XXIX) »Das Wirtschaftsleben rast atemlos Amok« (XXX).
Und aus der zweiten (provokanteren) Meditationsgruppe: »Jedes Recht beschneidet die Freiheit … Die sogenannten Freiheits-Rechte schränken die Freiheit immer ein.« (III). »Die vollkommene Trennung von Arbeit und Lohn … Dann wird der Mensch erst frei – zu arbeiten, was er will. Und es werden sich finden die Menschen, ihren gemeinsamen Schicksalen gemäß.« (IV) »Verzicht auf Konsum? Nur ein selbständiges Ich kann verzichten und dies auch nur freiwillig tun.« (V) »Anarchie heißt auf Deutsch selbstbestimmt.« (VII) »Erst ein sanfter Wille wird zur reinen Anarchie. Selbstbestimmt, Selbstverantwortet, Selbstbeherrscht ist verwirklichte Liebe – verbunden mit verwirklichter Freiheit.« (IX)
Noch eine Bemerkung zur Typografie: Oft ist der Satzspiegel in der Form eines Trichters oder einer Sanduhr gestaltet. Ob ein besonderer Sinn oder Grundgedanke dahinter steht, ist mir verborgen geblieben.
Ich fühle mich so frei, das Buch zu empfehlen, trotz der genannten Kritikpunkte. Aber gehört nicht zum freien Geist auch die Möglichkeit zur Kritik (wenn sie nicht zum Kritikastertum entartet)? Dabei fällt mir auf: Diese Ausdrucksform des freien Geisteslebens – andere Sichtweisen einzubringen – kommt in diesem Buch direkt nicht vor. Wahrscheinlich wird sein Autor in Zukunft (auch) daran arbeiten. Ein Anliegen des Buches ist es, laut Rainer Schnurre, dazu anzuregen, dass die Bilder und Texte an den verschiedensten Orten ausgestellt werden.
Quelle: Die Drei, Heft 11, 2017
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