Es ist alles ganz anders
Beiträge zur Aktualität der Anthroposophie
von Johannes Greiner |
Es ist alles ganz anders. Das ist ein Grunderlebnis aller Einweihungen gewesen. Durch die Erleuchtung lernte man, durch den Schleier der Illusion zu blicken, und erkannte damit, dass alles anders ist, als man es bisher gedacht hatte. Ein Ähnliches kann dem geschehen, der die Anthroposophie kennenlernt. Was sie beleuchtet, können wir als die tieferen Hintergründe des Seins auffassen. Dagegen ist vieles Illusion und Ablenkung, was wir bisher als wesentlich erachtet hatten.
EAN 0001234579607
Hersteller: Edition Widar
Wie können wir die Gedanken der Anthroposophie so denken, dass wir mit dem Wesen der Anthroposophie auch durch unser Herz verbunden sind? Und wie können sich Gemeinschaften bilden, die von der lebendigen Anthroposophie gesegnet sind? Was bedeutet ein Leben mit der Anthroposophie heute? Aufsätze, die um diese Thematik kreisen, sind in diesem Band zusammengestellt.
Rezension
Nach der Lektüre von Johannes Greiners Buch bleibt mir eine eindringlich-dringliche Stimmung zurück: Einweihung, das ist heute kein Vorgang in verborgenen Riten und Tempeln, auch keine Lebensoption für einige wenige Auserwählte, sondern das offenbare Geheimnis einer erwachenden Lebenspraxis und Zukunftsnotwendigkeit.
Das bedeutet nicht, dass wir dafür schon bereit sind. ›Es ist alles ganz anders‹, so lautet der Titel auf dem Einband des bereits in zweiter Auflage erscheinenden Buchs – aber diese Worte sind auch eine Frage: Sind wir bereit für das Unerwartbare und dazu, alle bekannten Sicherheiten loszulassen, wenn der Schleier sich hebt – uns aufeinander einzulassen? Denn das erwartet uns wohl jenseits der Schwelle.
Dein Weg ist mein Schicksal und deine Freiheit meine Pflicht – in dieser Formel lässt sich vielleicht der Grundton einfangen, in dem Greiner ein zukunftstragendes Verhältnis von Lehrer und Schüler, Mensch und Geist, Gemeinschaft und Karma, Anthroposophie und Gesellschaft, Gegenwart und Zukunft skizziert. Und er findet damit den Mysterienort der Gegenwart im Ereignisraum des Sozialen – wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen.
Dabei ist er so einfühlsam wie deutlich. Ich finde Beschreibungen wie: »Wenn das Karma vorausgefühlt wird, werden scheinbar kleine Alltagentscheidungen schwer« – worin Greiner eine Signatur der Seelenkonstitution vieler junger Menschen von heute erkennt. Oder: »Das Goetheanum ist noch immer ein Ort, an dem das Karma auf besondere Weise wirken kann.« Wobei er gleichzeitig fragt: Würden wir als Anthroposophen Rudolf Steiner überhaupt erkennen, wenn er in seiner gegenwärtigen Biografie an unsere Tore klopft, oder ihn mit Unverständnis zurückweisen? »Wer tröstet die Abgewiesenen?« Es gehört aber zur besonderen Qualität dieser Essays, dass ihr Autor auch diese Frage nicht übersieht: »Wie sollen die blinden Torwächter mit ihrer Schuld leben?«
Es wird durch diese Andeutungen hoffentlich spürbar, dass hier ein Mensch schreibt, dem die Anthroposophie nicht nur ein Herzensanliegen ist, sondern für den der konsequente Blick auf die Gegenwart aus einer karmisch erweiterten Perspektive zur Lebenspraxis geworden ist. Dies aber nicht im Sinne von Neugier oder Spekulation, sondern mit einer Haltung der Verantwortung und Hingabe – wobei erlebbar wird, wie folgende Aussage Steiners zur Lebensaufgabe werden kann: »Was vereinigt die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft? Das vereinigt sie, dass sie ihr Karma in Ordnung bringen sollen!«
Wer den Autor einmal erleben durfte, hört ihn auch in seinen Texten sprechen. Aufmerksam, warm und hemdsärmelig auf hohem Niveau – wenn auch nie gekleidet in den glitzernden Schein intellektueller Prägnanz, sondern mit herzlicher Durchdringung und aus eigenständigem Denken. Am Ende kommt Greiner bei ganz einfachen Wahrheiten an. Wir können den Weg zu diesen mit ihm gehen und sein ernsthaftes Anliegen an die Zukunft und Gegenwart der Anthroposophie – aber noch mehr, an den Menschen! – teilen. Und da diese Wahrheiten keine abstrakten Formulierungen sind, sondern Herzensanliegen der inneren Orientierung, können sie zu einem Leitstern in jedem Augenblick des Tages werden.
Es ist ein wenig wie das Bild der Umschlaggestaltung: dunkel und schemenhaft in sanfter Zeichnung, fast transparent ein einsamer Reiter – und über ihm hellt sich der Horizont leicht auf unter dem zarten Strahlen eines Sterns. Gerade in der Dunkelheit leuchtet das Bild auf, gerade in der Einsamkeit des Reisenden spricht sich sein »Wohin«, seine Verbundenheit zu seinem Ziel in leisen Tönen aus.
»In der Zukunft wird die Möglichkeit, durch das Machtprinzip für die Anthroposophie zu wirken, immer weiter abnehmen«, zitiert Greiner Werner Kuhfuss und beschließt die Reihe seiner Essays mit einer Alternative, wie er sie in seinem Blick auf die Apokalypse der Essener findet: »Und als unsere Finger sich fassten, / Sah ich in der Ferne eine große Stadt / Weiß schimmernd am fernen Himmelsrand ...«
Eine neue Zukunftswelt von sozialen Tempeln – das Himmlische Jerusalem – zeigt sich, wenn wir uns die Hand reichen: Mit diesem Bild endet das Buch und es ist spürbar, wie bewusst dieser Schlussakkord gewählt ist: »Wir müssen füreinander Engel werden!« Welches Vertrauen haben die geistigen Welten in uns, dass sie uns das zutrauen!
»Ich werd’ vor deinem Tor mir eine Weidehütte bau’n, um meiner Seele, die bei dir haust, nah zu sein ...« (aus dem Film ›Lost and Delirious‹).
Quelle: Die Drei, Heft 1/2, 2017
Erscheinungsdatum: 2016
Auflage: 2
Seiten: 157
Bindeart: Softcover
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