Aus dem Fragment "Stiftungsdrama"

Aus dem Fragment "Stiftungsdrama"

von Albert Steffen |

Am Himmelfahrtstag 1940 fasste Albert Steffen den Entschluss, ein Drama über die Stiftung der Anthroposophischen Gesellschaft zu schreiben. Von dem auf neun Bilder in fünf Akten angelegten Stück wurden nur ein kurzes Vorspiel, das erste Bild "Tag der Grundsteinlegung des Goetheanum-Baues" sowie das fünfte Bild "Das Merkurkapitäl" fertiggestellt.


EAN 9783858891693

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Buchbesprechung

von Reinhard Bode in: "ANTHROPOSOPHIE Ostern 2017 / Nr. 279", S. 98-100

Das Drama der Neuen Mysterien

Zu den welthistorischen Tragödien des 20. Jahrhunderts gehört auch die Tragödie der Anthroposophischen Gesellschaft. Denn wie sich in den äußere Ereignissen die ungeschminkte Gewalt der Widersachermächte offenbarte, so auch in den Ereignissen, die mit den Entwicklungen der Anthroposophie und ihrer Gesellschaft zu tun hatten. Dass hier äußerlich durch den Goetheanumbau und innerlich durch die Michaelschule ein geistiger Grundstein gelegt wurde, der weit in die Zukunft hinauswies, musste ein erhöhtes Engagement der oben genannten Mächte zur Folge haben. Das war bekannt. Der Kampf. der sich dadurch in j eder der damaligen mehr oder minder mitverantwortlichen Persönlichkeiten austrug, war nunmehr hochdramatisch und zutiefst menschlich. Ersteres, weil es um ein Menschheitsgeschehen letzteres, weil es um persönliche Verantwortung ging.

Dass ein solches Geschehen einem Dramatiker wie Albert Steffen, dem es in seinem Werk gerade um diese Dimensionen der Menschheitszukunft und den damit verbundenen Entscheidungen des Menschen geht, in höchstem Maße ansprechen musste, ist nur zu verständlich. Verständlich ist aber auch, dass aus den tragischen Ereignissen um Rudolf Steiner und die Anthroposophische Gesellschaft ein solches Drama nicht vollendet werden konnte, weil es der Geist der damaligen Zeit in den Vierzigerjahren nicht zuließ. Denn Steffen wollte keine Abrechnung mit ihm unliebsamen Strömungen und Persönlichkeiten liefern, sondern aus dem Geist des Grundsteins des 1. Goetheanums ein Drama schreiben, das versöhnt, den Beteiligten von höherer Warte aus Zukunft eröffnet, weil es ganz aus dem Geist des Herzens geboren ist. Neben Rudolf Steiner wollte er vor allem Marie Steiner ein würdiges
Denkmal setzen. "Ich musste die Bedeutung dieser Frau durch eine Schöpferische Leistung hervorheben. Es wird das einzige bleiben, was bleibt." (Tagebucheintrag 13.3 .1 942; S. 15). Mehr noch, Überlegungen zu einer Trilogie tauchen auf, es sollte ein Mysterienspiel werden, das die neuen Mysterien in Bild, Laut und Wort vor den Lebenden. den Toren und den Künftigen anschaulich machen sollte Es ist jetzt noch nicht die Zeit, in der man über die Bedeutung einer solchen Individualität wie Albert Steffen sprechen kann, die mit ihrer manichäischen Mission im Brennpunkt der welthistorischen Kämpfe um dieZukunft des Menschen stand. So eben auch im Brennpunkt der tragischen Geschicke nach Rudolf Steiners Tod. Er ist in Krämpfe und Angriffe involviert. die aber so aufgearbeitet werden, dass nicht verurteilt, sondern versucht wird in diesen schwärzesten Jahren des 20. Jahrhunderts die heilenden und helfenden Mächte in sich aufzwufen. So sollte eben auch dieses Drama ein Drama aus dem Geist der neuen Mysterien sein, der versöhnend und heilend die Mysterientat Rudolf Steiners zukunftswirksam werden lässt. Die Ereignisse sind dann aber so,
dass Steffen spätesten mit dem Nachlassstreit eine Möglichkeiten mehr sah oder besaß, dieses Drama zu vollenden. So bleibt ein Fragment von vier Szenen übrig. 

Wir verdanken nun der Albert-Steffen-Stiftung, dass diese vier Szenen in einem schmalen Büchlein zusammengefasst und veröffentlicht wurden. Die letzte Szene "Das Merkurkapitäl" ist schon in "Begegnungen mit Rudolf Steiner" abgedruckt worden, die drei anderen "Vorspiel", "Tag der Grundsteinlegung des Goetheanum-Baues", "Erstes Bild" waren bisher nicht veröffentlicht. Im Vorwort von Christine Engels werden die von Steffen überlieferten Quellen erhellend erläutert. Diese Quellen, die vor allem aus Tagebuchnotizen bestehen, sind allerdings sehr aufschlussreich. Am 30.März 1940 erfolgt der erste Eintrag, aus dem der Gedanke an ein solches Drama aufkeimt. Der Eintrag am 24. März 1942 ist der letzte und traurigste.: "Ich werde als produktiver Mensch ganz und gar vernichtet. Die Säulenszene aus dem Stifrungsdrama [...] muss nun [...] verschoben werden. Mich erfassen wieder eine so tiefe Trauer. Mein Herz hält es kaum mehr aus. Und es besteht keine Hoffnung, dass es besser wird." (S. 17) In diesen zwei Jahren erfolgt eine intensive Beschäftigung mit dieser Thematik - wobei nun der Grundsteinspruch täglicher Meditationsgegenstand wird -, die dann aber in tiefer Resignation endet. Die Bereiche allerdings, die in den entstandenen Szenen berührt werden, lassen ahnen, was Steffen an gewaltigen Dimensionen vor der Seele stand. Die neuen Mysterien sind nämlich nicht mehr darzustellen ohne der neuen Trinität (Luzifer - Christus - Ahriman) gerecht zu werden. So scheint mir das Wort Rudolf Steiners aus dem "Merkurkapitäl" - "Die Sphärenharmonie schließt alle Dissonanzen des
Abgrunds ein, seit in der Unterwelt der Weckruf des Erlösers laut geworden" (S. 68) der Leitfaden für das ganze Vorhaben zu sein. Alle vier Szenen zeigen diese Abgründe an verschiedenen Stufen auf, ob an Gegnern, an Anthroposophen oder an der Zukunftsvision Rudolf Steiners vor der Grundsteinlegung, bei der ihm die Vernichtung des Baus schon vor Augen stand. Innerhalb dieser Abgründe offenbaren sich aber u.a. im Verhalten, im Erkennen und in der Treue zu einmal gefassten Entschlüssen die neuen Mysterien. Diese kulminieren schließlich in der Szene "Der Tag der Grundsteinlegung". Dort wird gezeigt, wie Rudolf Steiner Angriffen Ahrimans und Luzifers entgegensteht und sie in ihre Schranken weist. Danach eröffnet sich ihm in geistiger Schau die Sphärenharmonie. In einem erhabenen kosmischen Geschehen erscheinen die drei Hierarchien und in ihrer Mitte Christus - das ICH BIN –, das nun hymnisch als Mittelpunkt der gesamten Welt- und Menschenschöpfung erklingt und gepriesen wird. Eine äußerst berührende Szene. Wo schon ist ein solcher ICH-BIN-Hymnus aufgetreten? Welch Metamorphose auch zu dem ersten Gedicht aus «Wegzehrung»: «Eins ist gewählt und eins gewusst, ich bin.» Es gehört zu Steffens großer Kunst, solche Dimensionen in eine poetische Sprache zu kleiden, die schlicht und geistreal ist und so sich sentimentaler wie abstrakter Abirrungen verwahrt. Die Tiefen- und Zukunftsdimension dieser Szene begründet sich auch in ihrer manichäischen Anlage. Denn Rudolf Steiner entgegnet der Todesmacht Ahrimans «Bis du dem Todesüberwinder weichst» und der begierdeweckenden Lichtgewalt Luzifers«Bis du den Todesüberwinderliebst» (S. 40und42). Damit wird die Bedeutung der neuen Trinität in ihrer höchsten Form angesprochen. Die Grundsteinlegung selbst, die in der folgenden Szene im Ersten Bild dargestellt wird, greift Ansprachen Rudolf Steiners auf, worin unter anderem Christian Morgensterns gedacht wird, dem Steffen selbst persönlich nie begegnet ist. Der Kommentierung dazu von Christine Engels muss nichts hinzugefügt werden: «|...| umso berührender scheint es, dass der spätere Dichter der Gesellschaft den früheren hier als Schutzgeist auftreten lässt.» (S. 74) Vergleicht man die Darstellungen Rudolf Steiners mit denen von Steffen, so ist es immer wieder überraschend, wie individualisiert die Inhalte wiedergegeben werden.

Albert Steffen verstand seine Dichtung als einen Baustein zum Mysterium von Golgatha. Seingesamtes Werklegt Zeugnis ab von dem Ringen, dem Logos, dem der Welt- und Menschenbau zugrunde liegt, in der Poesie wiedergerecht zu werden. So ist Dichtung selbst am Bauwerk des Logos beteiligt. Wie sehr muss es daher Steffen berührt haben, als er beim und im Bau des 1. Goetheanums dieses schöpferische Weltenwort in Form und Ausgestaltung vor den Sinnen erscheinen sah. Diesen überwältigen Eindruck gestaltet er zuerst in dem Drama «Hieram und Salomo». Das «Stiftungsdrama» – so kann man erahnen – sollte eine Metamorphose werden, die nunmehr Rudolf Steiner als Baumeister und die Anthroposophie als Grundlage der neuen Mysteriengestaltete. «Jetzt kann ich durchgewaltige Maße sprechen. Jetzt kann ich die Kräfte des Weltalls in Farben und Formengießen und diese Worte werden zum ganzen Menschen sprechen.» (Erstes Bild, S. 56) Dass dieser große Versuch Rudolf Steiners in den Flammen der Abgründe des 20. Jahrhunderts scheiterte, dass Albert Steffens großer dramatischer Wurf nicht zur Entfaltung kam, gehört zu den eingangs erwähnten Tragödien. Aber genau so gilt: Dieses schöpferische Ansinnen bleibt Zukunftsaufgabe. Hier können weitere Generationen anknüpfen. Da nämlich, wo aus den Quellen im Geiste der Versöhnung gedacht und gehandelt wird.

Diese Szenen im Zweig oder bei entsprechenden Anlässen vor Auge und/oder Ohr erscheinen/erklingen zu lassen, entspräche wohl den Intentionen des Stiftungsrats. Denn sie berühren – und was kann man sich mehr wünschen, als dass der Geist durch die Kunst zu den Herzen kommt und bewegt.

Bislang wurde nur dies letztere veröffentlicht (in «Begegnungen mit Rudolf Steiner»). Während der Arbeit am Buch wurde noch zahlreiches Material gefunden und hinzugefügt.

 

2016, 74 S., Leinen, 1. Aufl.,
ISBN 978-3-85889-169-3