Die Freiheit und ihr Schatten | Ein Verbot, das Erkenntnis schafft | Die halbe Klugheit oder: Keine Erkenntnis ohne Sterblichkeit | Eine Ahnung von Auferstehung | Verstellung: Die Entdeckung des Als-ob | Geschlechtertrennung: Mythos und Evolution | Unschuldig schuldig | Erbsünde Verteidigung eines unmöglichen Begriffs | Ist es die Angst, die böse macht? Oder: Wie schwindelig macht die Freiheit?
Rezension Den Sündenfall – seit Augustinus eine vieldurchgrübelte theologische Lehre – umkreiste Ruth Ewertowski in einer Artikelserie der Zeitschrift Die Christengemeinschaft (deren Redaktion sie angehört) so erfrischend untheologisch, dass aus einem Fachbegriff eine dem Leser mitteilbare Erfahrung wurde. Im daraus entstandenen Buch liest sich das noch etwas anders als in den monatlichen Folgen, weil der Zusammenhang von Freiheit, Versuchung, Ungenügen an sich selber, Schuld, Scham und sozialer Verantwortung, dort mit scheinbar leichter Hand hin und her gewoben, hier zu einem Ganzen wird.
Dabei bringt die Autorin anthroposophische Aussagen nie als bloße Bekräftigung vor, sondern sie dienen dem Wechselspiel von Durchdenken und seelischer Erfahrung.
Ruth Ewertowski liest die mythische Erzählung des Sündenfalls – der Versuchung durch die »Schlange« – ganz genau. Und so kann sie herausstellen: Die Sünde, den Apfel zu essen, bringt die Freiheit und Erkenntnis (soweit stimmt das Versprechen der Versucherin), aber sie setzt auch eine gewisse Freiheit und Erkenntnis voraus, denn sonst wäre alles ja nur ein unbewusstes Tappen in die Falle geblieben, ohne Folgen für die Verantwortungsfähigkeit des Menschen und ohne Sinnzusammenhang mit seiner Erlösung.
Die Bilder einer Frau, die mit einem Apfel immer anders umgeht, sind eine gute Zugabe. Sie sind so gewählt, dass sich kleine spannungsreiche Szenen ergeben. Man möchte gern wissen, was als Nächstes geschieht.
Wer Freude am selbstständigen Umgang mit der Anthroposophie hat, der wird dieses Buch genießen können! Die Autorin geht gegen Ende des Buches anhand der Vergebungsbitte, wie sie in Rudolf Steiners »Esoterischem Vaterunser« verwandelt wird, zu dem sozialen Hauptgesetz über. Das überzeugt durchaus. Schmale Bücher können weite Ausblicke öffnen.
Quelle: Die Drei, Heft 12, 2015