Seit Nelson Mandelas „Der lange Weg zur Freiheit“ habe ich kein so fesselndes Buch eines Zeitgenossen mehr gelesen. E. Snowden wurde 1983 geboren. Wir lernen mit ihm das amerikanische Schulsystem kennen, und weil er 6 Monate lang beim Militär war, erhalten wir auch einen Einblick in diese Welt. Es ist letztlich eine systematische Ausbildung zum militärischen Schleifer oder Duckmäuser, je nachdem wie man es betrachten will. Als 17-Jähriger erlebte er den 11. September und wollte daraufhin etwas beitragen, um sein Vaterland gegen dessen Feinde zu verteidigen. Deswegen entschied er sich zu einer Laufbahn beim Geheim- dienst.
Sehr früh schon hatte er sich in die Computertechnik eingelebt, sodass er einen Teil seiner Schulzeit PC – süchtig war, wie man heute sagen würde. Alles, was er konnte, hat er sich autodidaktisch im Internet angeeig- net. Akademisch hatte er nicht einmal einen Bachelor Abschluss. Aber er konnte sehr viel. Wo er hinkam, war er sofort führend in der Beherrschung der technischen Methoden. Als er vom CIA zum NSA kam, bemerkte er, wie lässig man dort mit der Sicherheit umgeht. Da- raufhin erfand er das permanente Speichern, um jeder- zeit eine eigene Kopie dessen zu haben, was man am Computer gearbeitet hatte. Daher der Titel seiner Auto- biographie „Permanent Record“. Als er seine Enthül- lungen an Journalisten übergeben wollte, durfte seine Identität bis zur endgültigen Kontaktaufnahme natürlich nicht entdeckt werden. Dafür baute er sein Auto zu ei- nem WLAN - Sensor um. In der Nähe eines Restaurants oder einer Bibliothek konnte er dann deren WLAN be- nutzen. Er wählte dazu das Betriebssystem TAILS, welches nichts speichert. Dazu lief sein PC auf Linux und nicht auf Windows. So blieb er für seine Korres- pondenz mit den Journalisten unauffindbar und für den möglicherweise überwachenden NSA erst recht.
Sehr ausführlich schildert Snowden, wie er nach und nach immer mehr entdeckte, dass die USA ganz genauso wie China ein totales Überwachungssystem eines jeden Menschen auf der Erde zur Verfügung haben. Dafür sprichwörtlich geworden ist, dass der NSA das Handy von Angela Merkel abhörte. Die US Regierung sagt darüber öffentlich aber nichts oder sie sagt das Gegenteil. Das empörte Snowden. In seinen Augen war das Ganze ein Verfassungsbruch und ein Verrat am guten Geist der USA, den er bekannt machen wollte und musste. Ein großer Teil des Buches ist ein innerer Monolog mit seiner Gewissensstimme. Einsam, ernst und glasklar hin- und her erwägend. Manchmal erinnerte er mich an Odysseus, wie er die Gefahren abwägend von Homer geschildert wird. Darüber hinaus ist Snowden strategisch hochbegabt. Die Art und Weise, wie er seine Enthüllungen an die Öffentlichkeit bringen wollte, hat er mit niemandem besprechen können und musste es ganz allein erfinden. Besonders wichtig war ihm, dass die komplizierten Zusammenhänge verständlich wer- den. Und er hat eigentlich alles nur richtig gemacht. Als er dann in Hongkong war, und nach 10 Tagen bangen Wartens die Journalisten endlich kamen, hatte er keinen weiteren Plan, weil er damit gerechnet hatte, dass er ge- fasst werden wird. Dann wurde ihm aber wunderbarer- weise von verschiedenen Seiten hervorragend geholfen. Von Ecuador bekam er ein vorläufiges Asylangebot und schaffte noch den Flug von Hongkong nach Moskau. Von dort wollte er eigentlich über Havanna nach Ecua- dor weiterfliegen. In Moskau wurde er dann aber festgenommen, weil sein Pass inzwischen vom amerikani- schen Außenministerium für ungültig erklärt worden war. Das war sein Glück, denn Russland ist ein viel besseres Exil als Ecuador, weil es gegen die USA viel mehr Gewicht hat.
Das Buch ist sehr gut geschrieben und spannender als jeder Krimi, weil es sich ja nicht um Erfindung, sondern um Realität handelt. Sicherlich nicht zufällig ist eine herzbewegende Liebesgeschichte hineinverwoben. Seine Frau Lindsay musste er schweren Herzens in den USA verlassen, ohne ihr irgendetwas sagen zu kön- nen. Erst einen Monat später sah sie ihn in dem welt- weit ausgestrahlten Bekenner-Video. Nach 1 1⁄2 Jahren trafen sie sich glücklich in Moskau wieder, und leben seitdem dort wieder zusammen.
Mit den Mysteriendramen gesagt: ein Strader Schicksal. Eine „sonnenreife Seele“, die Ahriman als den „Irrtumsboten“ zum Verschwinden zwang, und die in keinem Moment ihres Lebens die Liebe zu seiner Frau vergessen hatte, so wie es bei Strader und Theodo- ra gewesen ist. Ganz Amerika rückt einem menschlich näher im Hinblick auf diesen einen bewunderungswür- digen Menschen.
Friedwart Husemann, Uplengen (Ostfriesland) in "Ein Nachrichtenblatt Nr. 23 2020