Farbe begegnen

Farbe begegnen

Vom Erleben zur Gestaltung

von Hofrichter, Gudrun; Reich-Siggemann, Arno |

Wir sind von Farben umgeben. - Für alle, die Farben lieben, ist diese Schule des Sehens gedacht. Das erfahrene Autorenteam, selbst als freischaffende Künstler tätig, gibt dem Buch in diesem Sinne eine ausgeprägt visuelle Ausrichtung: es "erklärt" Farbe nicht nur, sondern führt das sinnliche Erleben von Farbe anschaulich vor und bietet vielfältige Anregungen zum Selbststudium.


EAN 9783772526497

Hersteller: Freies Geistesleben

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Rezension

Achtung: Dies ist kein neues Buch zur Farbenlehre oder gar zu einer neuen Farbsystematik. Das ist jedoch kein Mangel, sondern ganz im Gegenteil ein herausragendes Qualitätsmerkmal. Es ist ein Werkbuch, ein Handarbeitsbuch, ein Malbuch, ein Erlebnisbuch, ein Meditationsbuch, ein Anregungsbuch, ein Übungsbuch – aber kein umfassendes Handbuch, keine Farbenmonografie, auch keine bloß persönliche Farbendarstellung. Darüber hinaus ist es einfach ein schönes, ein ästhetisches, ein der Seele wohltuendes Buch. Die darin vorgestellten Projekte versuchen nichts mehr und nichts weniger als eine vielschichtige Einführung in das Farberleben, in die Begegnung mit Farben auf verschiedensten Ebenen, eine Anregung zum erlebenden Arbeiten mit Farben, und ja, Hinweise für eine Anwendung von Farben in der Architektur. Letzteres steht nicht eigentlich im Vordergrund, wird niemandem aufgedrängt, sondern ergibt sich naturgemäß aus den vorangehenden Ausführungen und steht bescheiden am Schluss.

Was besonders ansprechen kann, ist der sehfeste und auch handfeste Ausgangspunkt: Jedes Farberleben hat seinen Ausgangs- und Orientierungspunkt in den Farben der Natur und der Kunst, insbesondere in der malerischen Kunst. Auch wenn die Auseinandersetzungen mit virtuellen Farben auf dem Bildschirm und mit Druckfarben auf Papier einbezogen werden, werden diese jedoch sachgemäß auf die grundlegenden Begegnungen mit real anwesenden Sinneserfahrungen von substanziellen Farbbegegnungen (rück-)bezogen. Das herausragende Qualitätsmerkmal dieses Buches ist die offenlassende Behandlung von Farbphänomenen. Es werden viel mehr Fragen gestellt und Wege vorgeschlagen, als beantwortet bzw. gegangen werden können. An jeder Stelle, an der ein anderer Autor (inklusive Goethe und Kandinsky) sich vielleicht auf irgendetwas festgelegt hätte (oder hat), wird ein vorläufiges Fazit, eine naheliegende Vermutung wieder in Frage gestellt, der kulturelle, der stoffbezogene, allenfalls der konventionelle, farb- und malhistorische oder emotionale Hintergrund einbezogen, wodurch vieles wieder in Fluss gebracht wird. Man lernt, dass ohne innere Beteiligung und ohne tätige Offenheit für grenzüberschreitendes Erleben und Begreifen sowie ohne differenzierte Gesichtspunkte sich Farben nicht einfangen lassen.

Ausgangspunkt der feinfühligen Untersuchungen sind zwei Kunstwerke, ein Figurenbild von Peter Paul Rubens und ein Landschaftsbild von Lovis Corinth, die an manchen Stellen durch weitere Kunstwerke ergänzt werden. Sie werden auf ihre Materialität, ihren Aufbau, ihre Farben, ihre Maltechnik etc. untersucht, gründlich, ohne Eile, auf konkrete Beobachtungen hinweisend, nicht voreilig Vorstellungen festlegend. Wie im Vorbeigehen gibt es verschiedene Hinweise auf die Kunstgeschichte. Natürlich gibt es ein Kapitel mit knappen Ausführungen zu Farbmodellen und -ordnungen; aber auch hier herrscht der praktische Gesichtspunkt vor: Welche Farbordnung ist für das Erleben von und die malerische Gestaltung mit Farben tatsächlich relevant?

Entscheidend für eine tieferes Verständnis sind Farbkontraste, sukzessive (Nachbilder) und simultane, aber auch andere Qualitätsmerkmale, die sich im Zusammensein von Farben zeigen (Harmonie, Mengenverhältnisse, Klänge, Steigerungen, Helldunkelabstufungen etc.). So ist ein ganzes Kapitel der Farbe in der Umgebung gewidmet. Aber auch hier bleibt es nicht bei »reinen« Farbuntersuchungen, sondern es wird alles an den beiden im Vordergrund stehenden Gemälden demonstriert, nachvollzogen, zum Erleben gebracht.

Der emotionale und stimmungsmäßige Bezug auf die Farbe wird fein differenziert untersucht und verdeutlicht, dass es hier kaum möglich ist, zu allgemeingültigen und fest umrissenen Aussagen zu kommen. Und doch lassen sich Tendenzen aufzeigen, die den mannigfaltigen Schichten aus Vorlieben, Vorurteilen, Gewohnheiten und kulturellen Besonderheiten zugrunde liegen – wenn es denn einem gelingt, hierher durchzustoßen. Der Bezug auf die genannten Gemälde sowie auf das Erleben der Natur kann hier wieder etwas Orientierung geben.

In einem weiteren Kapitel wird auf Bedeutung und Sinn von Farbe anhand des Gemäldes von Rubens und an der Farbe Rot nachgegangen. Letzteres hat mich besonders angesprochen, da differenziert auf die Frage nach einer Unterscheidung verschiedener Arten von Rot (Purpur, Magenta, Rosa, Pink etc.) eingegangen wird. Auch hier wird wieder einmal deutlich, dass theoretisch oder synthetisch reine Farben nur dann wirklich verstanden und eingeordnet werden können, wenn sie im Kontext mit natürlichen Farben aus mineralischen Pigmenten und/oder organischen Produkten untersucht werden. So zeigt sich etwa, dass Farbmischungen aus reinen Farben unter Umständen an natürliche Mischfarben niemals herankommen, da letztere eine Homogenität haben, die ersteren fehlt.

Wie bereits erwähnt, schließt das Buch mit einigen Hinweisen auf Farbe in der Anwendung, insbesondere der Farbe Rot in der Architektur. Wie kann es anders sein: Auch hier wird exemplarisch vorgegangen, sodass man vielseitige Anregungen erhält, die angesprochenen Themen selbst zu vertiefen.– Fazit: Kaufen, Genießen, Erleben und Begegnen!

Quelle: Die Drei, Heft 11, 2014

Erscheinungsdatum: 10.2013
Auflage: 1.
Autor: Hofrichter, Gudrun; Reich-Siggemann, Arno
Einbandart: gebunden
ISBN: 978-3-7725-2649-7