Der Freie Mann - Friedrich August Eschen (1776-1800)
von Michael Wortmann |
Biografie | Briefe | Werke | Kontexte | Pädagogik | Rezeption
EAN 9783899792522
Hersteller: Möllmann, Ch
Rekonstruiert wird das durch Bergtod bei Chamonix/ Frankreich abgekürzte Leben des deutschen Junggelehrten Friedrich August Eschen (1776-1800) als kontextualisierte Dokumentarbiografie. Dabei stützt sich der Autor auf überwiegend bisher unbekannte Quellen, darunter 85 Briefe von/an Eschen, auf Buchinventare zur Ermittlung seines Lektüreprofils sowie auf diverse Kontextquellen.
An seinem Geburtsort Eutin im Bistum Lübeck erfährt Eschen privilegiert-bürgerliche Sozialisationsbedingungen, nicht zuletzt als hervorragender Schüler des Dichters, neuhumanistischen Rektors, Übersetzers und Altphilologen Johann Heinrich Vossß (1751-1826).
Während des Studiums ab 1796 nimmt Eschen durch zahlreiche Begegnungen am Jenaer Aufbruch teil. Ferner liefert er altsprachliche Übersetzungen im Sinne der vossischen Programmatik (beispielsweise in Wielands Merkur) und Beiträge für Schillers Periodika, gekrönt durch einen verdeutschten Horaz (Oden, Zürich 1800). Der Verlust des durch den Musiker und Journalisten Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) vermittelten Übersetzungsauftrags für den Don Quijote an Ludwig Tieck (1773-1853) zeigt Eschen in der bisher kaum wahrgenommenen Exklusion durch die Frühromantiker.
Als bald führendes Mitglied der von Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) geförderten literarisch-republikanischen Studentensozietät der Freien Männer folgt Eschen 1798 u.a. seinem gleichaltrigen Landsmann und Freund Johann Friedrich Herbart als Hauslehrer in Familien des in der neuen Helvetischen Republik privatisierenden Berner Patriziats. Eschens Brief Über die Helvetische Revolution (im CD-ROM-Anhang) ist bisher ebenso unbekannt wie seine Hauslehrer-Kurzberichte. Diese enthalten Hinweise auf den pädagogischen Diskurs der Freien Männer in der Schweiz: wie ist das commercium-Problem (sittlicher) Erziehung zu lösen? Es zeichnet sich ein frühes Ästhetik-Konzept von Erziehung und Bildsamkeit ab, das die Freunde in ihren Praxen erproben. Herbart hat dies ab 1802 in systematischer Absicht zum Hauptgeschäft der Erziehung erklärt.
Rezension
»Bildung ist Schönheit« lautet ein Merksatz des Philosophen Theodor Lessing. Er gilt auch für den jung verstorbenen Literaten, Pädagogen und Horaz-Übersetzer Friedrich August Eschen, der als »Spätaufklärer« im Umfeld des deutschen Idealismus (Fichte, Schiller, Goethe, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Schelling) und der Jenaer Romantiker (Brüder Schlegel und Novalis) in Eutin, Jena und schließlich als Hauslehrer in der Schweiz lebte.
Michael Wortmann hat in reifen Jahren über ihn eine voluminöse Dissertation vorgelegt, die nun der Verlag Möllmann in bemerkenswert sorgfältiger Weise (Fadenheftung, reiche, z.T. bis heute unveröffentliche Textbeigaben und Zeittabellen) herausgebracht hat. 85 Briefe von und an Eschen sind hier – größtenteils erstmalig – transkribiert. Der vergleichsweise geringe Preis ist nur zustande gekommen, weil gelehrte Vereinigungen und Privatpersonen ihn durch Spenden möglich gemacht haben.
Eschen kam angesichts seiner naturwissenschaftlichen, besonders botanischen Kenntnisse für Alexander von Humboldts Südamerika-Reise als Begleiter in Frage, so vermutet Wortmann nicht ohne Grund. Für die FichteForschung wurde Eschen durch seine Vorlesungs-Ausarbeitungen zur wichtigen Quelle. Was Michael Wortmann hier geleistet hat, erschließt sich beim (notwendigerweise langsamen) Lesen nur allmählich, denn zunächst hat man sich durch die unzähligen Dokumente, Beschreibungen von Eschens Freundes- (und Widersacher-)kreis – so etwa aus der Jenaer Romantik – und die allein schon dem Hauptteil angefügten rund 3000 Anmerkungen zu ackern. Doch das Gesamtbild der vielen beteiligten Menschen, die sich auf den blutjungen Denker, Übersetzer Dichter und Lehrer ausgewirkt haben, lohnt sich. Wortmann entwirft gewissermaßen die Hohlform für das Bild eines Menschen, der um seine Existenz und Aufgabe in der Goethezeit gerungen hat. Wortmann macht somit deutlich: Aus der Grundempfindung, dass ein Mensch nur zu sich selbst kommen könne, wenn er sich dem »Schönen« widmet, hat sich Eschen zu einem begeisterten Erzieher im ausgehenden »Jahrhundert der Freundschaft« entwickelt.
Quelle: Die Drei, Heft 11, 2017