Rosalia und ihre Nachfahren

Rosalia und ihre Nachfahren

Ostdeutsche Vergangenheit in Lebensbildern

von Renate Riemeck |

Bei aller historischen Genauigkeit und liebevoller Detailtreue zeichnet die Autorin ein sehr persönliches, humorvolles Porträt ihrer Vorfahren und zeigt, wie eine solche Geschichte "von unten", aus der historischen Distanz erzählt, etwas von den Zusammenhängen widerspiegelt, die Einzelschicksal und Zeitgeschehen verbinden.


EAN 9783932386039

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Geschichte »von unten«

Bei aller historischen Genauigkeit und liebevoller Detailtreue zeichnet die Autorin ein sehr persönliches, humorvolles Porträt ihrer Vorfahren und zeigt, wie eine solche Geschichte »von unten«, aus der historischen Distanz erzählt, etwas von den Zusammenhängen widerspiegelt, die Einzelschicksal und Zeitgeschehen verbinden. In diese Zusammenhänge eingebettet dargestellt sind Taten, Erlebnisse und Vergnügliches von einfachen Menschen, die sich trotz aller gesellschaftlicher Zwänge ihre Eigenart bewahrt haben.
Mit Rosalia und ihre Nachfahren legt die bekannte Historikerin ein Stück Geschichte ihrer Familie vor, nachgezeichnet aus Dokumenten, mündlich überlieferten Begebenheiten und selbst Erlebtem. Dabei ist das Bild dreier Generationen entstanden, deren Verschiedenartigkeit auch die Gegensätze zweier gänzlich unterschiedlicher Jahrhunderte reflektiert. Denn das hier dargestellte Familienschicksal wurde im Wesentlichen durch die historischen Zeitläufte bestimmt.
Die Revolution von 1848, Reichsgründung, die Zeit Bismarcks, der Militarismus Kaiser Wilhelms II., Erster Weltkrieg, Wirtschaftskrise und Inflation, Weimarer Republik, Aufstieg der Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg sowie die Gründung der Bundesrepublik bilden dabei den historischen Hintergrund, vor dem sich das Leben der Rosalia und ihrer Nachfahren abspielt. Dessen geographische Stationen sind das Keyserlingksche Gut in Westpreußen, die Städte Danzig, Breslau und Stettin, das hinterpommersche Dorf Plathe und schließlich – nach langer Flucht – Westdeutschland.

Vorbemerkung

Die Rosalia Steffen, geborene Müller, von der hier erzählt wird, war eine typisch deutsche Frau aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: arbeitsam, zuverlässig, ihrem Ehemann treu ergeben und durchaus nicht ungebildet.
Sie stammte aus Westpreußen und war stolz darauf. Kennengelernt habe ich sie nie, die Mutter meiner Mutter. Sie war schon längst gestorben, als ich auf die Welt kam. Dennoch weiß ich sehr viel von ihr, so viel, dass ich ihre Biographie schreiben kann. Das hängt mit den fünf Kindern zusammen – drei Söhne und zwei Töchter – die farbig von ihr berichten konnten.
Dennoch hätte sie mich nicht sehr interessiert, wäre ich nicht zufällig auf die Tatsache gestoßen, dass sie just zu einem Zeitpunkt geboren wurde, der für die Geschichte Mitteleuropas von hoher Bedeutung war.
Dass ich zu dieser Erkenntnis kam, verdanke ich der Tatsache, dass ich vor Beginn meines Studiums (1940) – das Abitur war uns zu Kriegsbeginn »nachgeworfen« worden – meine »arische«, also nichtjüdische Abstammung nachweisen mußte, um mich an der Universität einschreiben lassen zu können. Ich hatte großes Glück dabei; denn es war ein leichtes, die erforderlichen Urkunden zu beschaffen: Westpreußen, von wo meine Großeltern stammten, das durch den Versailler Vertrag (1919) polnisch geworden war, wurde durch den Überfall der Nazis auf Polen gerade wieder eingedeutscht. So bekam ich die Tauf- und Heiratsurkunden meiner Großeltern ohne Schwierigkeiten.
Rosalias Vater, der »Forstgehilfe« bei einem der vielen westpreußischen Grafen von Keyserlingk war, hatte in der Revolution von 1848 gerade seinen Herrn nach Frankfurt am Main begleitet, wo man abschließend über einen Verfassungsentwurf für das neu zu schaffende »Reich« beriet. Der »Forstgehilfe« gehörte natürlich nicht zu den Beratern, aber selbst in seinem westpreußischen Dorf redete man von den großen Veränderungen, die in den deutschen Landen vor sich gehen sollten. Als er von Frankfurt zurückkehrte, war ihm eine Tochter geboren worden, die er auf den Namen Rosalia taufen ließ.
Und das war sie also, meine Großmutter. Aus sehr persönlichen Gründen erhielt sie eine echt aristokratische Erziehung, wurde dieser wieder entrissen und lebte fortan in ganz einfachen Verhältnissen.
Wenn man sich mit ihr beschäftigen will, muss man sich etwas mit dem preußischen Adel befassen, zugleich auch die unteren Volksschichten betrachten können, in die sie zurückgestoßen wurde. Aber das macht ja nun gerade das persönliche Leben der Menschen in einer bestimmten Ära der Geschichte aus.
Rosalia hat ihre zeitweilig aristokratische Erziehung nie vergessen können, dachte später immer kaisertreu und hohenzollernsch. Dennoch hat sie nicht verhindern können, dass ihre Kinder ganz andere Wege gingen.
Ihr sehr geliebter ältester Sohn wurde Sowjetbürger, ihr zweiter beinahe ein Fahnenflüchtiger und ihr jüngster ein überzeugter Demokrat in der Weimarer Republik. Ihre älteste Tochter passte sich den jeweiligen politischen Lebensverhältnissen an und verfiel nach 1933 dem Nationalsozialismus, die jüngere, meine Mutter, dachte antifaschistisch und war freiheitlich gesinnt.
Die Lebenswege von Rosalias Kindern zu untersuchen, bedeutet deshalb, sich mit einem typischen Stück mitteleuropäischer Geschichte zu befassen: von der Revolution des Jahres 1848 über die Zeit des Nationalsozialismus, der Hitlerherrschaft (1933 – 45) und der Zerstörung Mitteleuropas im Zweiten Weltkrieg bis zum mühsamen Wiederaufbau in zwei antagonistischen Staatswesen.
Ein ganzes Jahrhundert verlustreicher deutscher Geschichte steht im Hintergrund der Geschichte von Rosalia und ihren Kindern. Rosalia hätte es nie für möglich halten können, was mit Deutschland geschehen ist, was sich alles nach den Tagen ihrer Geburt 1848 zutragen konnte – in nur einem Jahrhundert mitteleuropäischer Geschichte.
Mitteleuropa gibt es nicht mehr. Man mag es bedauern. Aber die Geschichte geht weiter.

RENATE RIEMECK

Über die Autorin:

Prof. Dr. Renate Riemeck,

geboren 1920 in Breslau, gestorben 2003, Studium der Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte in Jena und München, 1943 Dissertation über »Spätmittelalterliche Ketzerbewegungen«, Berufung in die Lehrerbildung: als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Oldenburg i.O., als Professorin an der Kant-Hochschule Braunschweig, dem Pädagogischen Institut Weilburg, der Pädagogischen Hochschule Wuppertal, Lehrauftrag an der Universität Marburg. Über viele Jahre als Publizistin und freie Schriftstellerin tätig, Veröffentlichungen in verschiedenen Verlagen. Politisches Engagement, unter anderem Mitbegründerin der »Deutschen Friedensunion«, Mitarbeit in der »Prager Christlichen Friedenskonferenz«.

144 Seiten, 16 Abb., gebunden
EUR 15,80 
ISBN 3-932386-03-5