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Erkenntniskräfte

Grundlagen und Übungen Rudolf Steiners zur gesunden Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen

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Studien zur Erziehungskunst Rudolf Steiners, Band 5

von Valentin Wember

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Inhaltsverzeichnis

    
Einleitung: Erstaunliches vorweg

Teil A: Grundlagen


1 Vom Ursprung der Gedanken
Exkurs 1: Computer und Bewusstsein
2 Denken und Gehirn
3 Die Absolutheit des Denkens
4 Noch einmal: Die Rolle des Gehirns
5 Begriffe im Unterschied zu Gedanken
6 Die «Orte» der Begriffe
7 Wo ist das Ich?
8 Stecklinge und Plattwürmer
Exkurs 2: Die Angst vor dem lebendigen Begriff
9 Ungeahnte Folgen der Erkenntniswissenschaft
10 Was Rudolf Steiner unter «Geist» verstand
11 Wege zum lebendigen Geist in der Natur
12 Die drei am meisten unterschätzten Faktoren
13 Exkurs 3: Theorie versus Erleben
14 Pädagogische Liebe
15 Professionelle Antipathie
16 Immer wieder: Der Protest des Intellekts
17 Die erste Lehrer-Meditation von 1919
18 Alternative zum Üben: Vernünftiges Vertrauen
19 Objekt-Permanenz – Begriff-Permanenz
20 Die Metamorphose der Begriffe
Exkurs 4: Bewusstsein – Materie – Geist heute

Teil B: Pädagogische Konsequenzen
Erstes Jahrsiebt
21 Die Tiefenwirkung der Sinne
Zweites Jahrsiebt
22 Die Lebenskräfte des Kindes und sein Verstand
Zweites Jahrsiebt
23 Die Plazenta des Verstandes
Drittes Jahrsiebt
24 Forschender Verstand in der Oberstufe
Drittes Jahrsiebt
25 Von der Urteilskraft
Sinne I
26 Michael Benner: Sinnestäuschungen gibt es nicht.
Sinne II
27 Warum niemand einen Tisch «sieht».
Sinne III
28 Die Sinne und das Gralsmysterium
Drittes Jahrsiebt
29 Die Initiation der Jugendlichen
Drittes Jahrsiebt
30 «Trommler, Trommler, hör mich an»
31 Übersicht über die 12 benannten Übungen

Anhang
32 Freiheit und Erkenntnis
33 Das Hüllengesetz
34 Intellektuelle Frühreife
35 Selbständig denken?

Nachwort: Freundschaft und Gnade

Das vorliegende Buch hat eine wundersam lange Geschichte. Sie beginnt an einem kalten Winterabend im Januar 1978 in Hamburg. Ein Freund hatte mich eingeladen, um mit mir über den Mathematiker Kurt Gödel [1906 - 1978] zu sprechen. Es ging um Gödels zwei Sätze der Unvollständigkeit und um ein Verfahren, dass man Gödelisierung nennt. Mein Freund wollte mir zeigen, wie man dieses Verfahren dafür verwenden kann, die Unmöglichkeit der geometrischen Drittelung eines Winkels zu beweisen. [Ein anspruchsvoller, aber faszinierender Beweis.] Im Zuge seiner Erklärung ging mein Freund an einer bestimmten Stelle zum Bücherregal, nahm ein Taschenbuch-Exemplar von Rudolf Steiners «Philosophie der Freiheit» heraus, schlug Kapitel 4 auf und las mir Rudolf Steiners Beweisgang vor, der zeigt, dass man eine Wahrnehmung, zum Beispiel eine Tonwahrnehmung, nicht auf die Schwingungen in der Luft reduzieren kann. Die Aussage «Ton ist in Wahrheit nur eine Luftschwingung» ist falsch, bzw. unbeweisbar. [Der Gedankengang Rudolf Steiners wies in der Tat eine entfernte Ähnlichkeit mit Gödels Argumentation auf.]

 

Ich kannte die Arbeiten Rudolf Steiners damals nicht, aber seine Überlegungen in Kapitel 4 der «Philosophie der Freiheit» schlugen bei mir ein wie ein Blitz. Steiners Argumentation war frappierend überzeugend, aber ich sah nicht, welche Lösung Rudolf Steiner zu der Frage vorlegte, wie sich denn nun der Hirnprozess zum Bewusstseinsinhalt verhielt. So besorgte ich mir die «Philosophie der Freiheit» und verschlang sie wie ein hungriges Tier. Was in den folgenden Kapiteln 5-14 stand, schien mir keine Lösung zu sein, beziehungsweise das, was Rudolf Steiner als Lösung darstellte, schien ich nicht wirklich zu verstehen. Es begann eine lange Reise. 

 

In den folgenden Jahren startete für mich fast jeder Tag früh morgens eine Stunde lang mit einem Studium der «Philosophie der Freiheit» und später der anderen Grundschriften Steiners. Es folgte eine Stunde «Kants Kritik der reinen Vernunft» [und später der beiden anderen Kritiken sowie der «Prolegomena» und der Frühschriften].

Ich ließ sozusagen Steiner gegen Kant antreten und umkehrt. Jeden Morgen tauchte ich zwei Stunden lang ein in einen argumentativen, streng logischen Wettkampf, über den ich akribisch Buch führte. Im Lauf der Zeit wurde ich zu einem ziemlichen Kant-Spezialisten. [Später ließ ich mich im Examen sogar über Kants «Transzendentale Deduktion» prüfen und zwar über den Unterschied zwischen Fassung A und Fassung B.] In ähnlicher Weise wurde ich damals zu einem Spezialisten für Steiners philosophisches Frühwerk. [Unter anderem hatte ich eine umfangreiche Synopse angefertigt, die alle Parallelstellen zu bestimmten philosophischen Themen verzeichnete.] Den Gedankengang der «Philosophie der Freiheit» konnte ich irgendwann Kapitel für Kapitel mehr oder weniger auswendig wie die Partitur eines Musikstückes. Mein Problem aber hatte ich nicht gelöst: «Welche Rolle spielt das Gehirn für den Bewusstseinsinhalt, wenn es unmöglich sein kann, dass das Gehirn den Bewusstseinsinhalt erzeugt?» Ich las damals auch fast alles von zwei geistigen Steiner-Schülern: Herbert Witzenmann [1905–1988] und Georg Kühlewind [György Székely; 1924 – 2006], aber so sehr ich beide bewunderte, sie konnten mir bei der Lösung meiner Frage nicht helfen. Es dauerte beschämende sieben Jahre, in denen ich philosophische Länder von Fichte über den frühen Schelling und Hegel bis hin zu Hilary Putnam durchwanderte, bis mir eines Tages an einem schwäbischen Küchentisch meine Lösung aufleuchtete. Ich stolperte über ein Apeçu von Carl Christian Erhard Ritter [1779 - 1859], einem Freund von Novalis: «Man sieht den Körper nicht.» Mir war blitzartig klar, was Ritter gemeint haben muss: Man sieht nie diejenigen Partien des Gehirns, die die jeweils aktuelle Wahrnehmung ermöglichen, denn in dem Moment, wo ich den Hirnprozess in den Blick nehme, sind es bereits andere Hirn-Prozesse, die mir das ermöglichen. Und weiter: Ich kann die mechanischen Schwingungen einer Stimmgabel im Ruß auf einer Glasplatte sichtbar machen, aber ich darf nicht vergessen, dass ich es jetzt mit der schwarzen Farbe des Rußes zu tun habe und mit der grau-weißen Farbe der feinen hellen Linien der Schwingungen. Ich habe es statt mit Ton-Wahrnehmungen mit Farb-Wahrnehmungen zu tun. Nun sind den Farben – zumindest in der klassischen Physik – bestimmte elektromagnetische Wellen zugeordnet.  Man sagt sogar: «Farben sind in Wahrheit elektromagnetische Wellen.» Wollte ich diese wahrnehmbar machen, gäbe es sofort wieder etwas anderes, was man gleichsam «unter» den elektromagnetischen Wellen finden könnte, so wie die Schwingungen «unter» dem Ton. Undsoweiter in einem unendlichen Regress. [«Gödel‘s incompleteness was back.»] So wurde die lapidar-apodiktische Äußerung Carl Ritters [für mich] zum Ausgangspunkt meiner Lösung, die ich im vorliegenden Buch erstmals in Teilen publiziert habe. 

 

Während ich die meiste Zeit meines Studium an der Universität Hamburg zubrachte, lernte ich auf den Tagungen der anthroposophischen Studenten in Tübingen Martin Kollewijn kennen. Ehe wir uns versahen, waren wir Freunde.

Martin Kollewijn war ein profunder Kenner sowohl der Anthroposophie als auch der Philosophie Hegels, insbesondere der «Logik.» [Ich selbst kannte Hegels «Logik» nur in der Fassung in der «Enzyklopädie».] Martin Kollewijn studierte an der Freien Universität Berlin bei Michael Theunissen und Ernst Tugendhat. Das waren in meinen Augen ehrfurchtheischende, gewaltige Koryphäen. 

Anthroposophische Studenten-Tagungen im Fichte-Haus in Tübingen dauerten damals im Frühjahr sage und schreibe drei Wochen am Stück und eine Woche im Herbst. In den freien Stunden diskutierte ich mit Martin Kollewijn auf langen Spaziergängen ungezählte philosophische und anthroposophische Fragen. Später besuchten wir uns. Meist fuhr ich ins damals noch geteilte Berlin – vorbei an den oft finsteren Blicken der DDR-Grenzbeamten – und die Diskussionsabende gingen dann bis in die frühen Morgenstunden. So entstand zwischen uns die Idee, zum 100. Erscheinungsjahr von Rudolf Steiners «Grundlinien» [zuerst erschienen 1886] im Jahr 1986 eine Arbeit herauszubringen, die Rudolf Steiners Philosophie in den Diskurs der Philosophie des 20. Jahrhunderts einbringen sollte: Frege, Husserl, Heidegger, Wittgenstein, Quine, Popper, Habermas, Davidson, Putnam – alles in allem eine ziemlich «volle Hütte». 

 

Nach meinem Examen zog ich von Hamburg nach Berlin, um mit Martin Kollewijn zusammen unser Projekt in Arbeit nehmen zu können. Nebenbei wollte ich meine Dissertation fertigstellen. Es kam anders. 

 

Unsere Zusammenarbeit in Berlin war wunderschön und inspirierend, aber eines Tages wurde ich buchstäblich im Traum dazu aufgefordert, Waldorflehrer zu werden. Im Traum war mir eine alte, weisheitsvolle Frau aus Tansania erschienen. Sie fragte mich, was mein größter Wunsch sei. Ich antworte ihr, was ich wohl auch im Wachen geantwortet hätte: «Ich wünsche mir gute Lehrer». Sie: «Dann werden Sie einer.» Damit wachte ich auf. 

Ich fand die unverfrorene Direktheit des Traums damals ziemlich geschmacklos und wies die Aufforderung weit von mir. Waldorflehrer zu werden hatte ich nicht vor. Es hatte nichts mit meinen Lebensplänen zu tun, so sehr ich auch als ehemaliger Waldorfschüler den Lehrern meiner Schule in Krefeld tief dankbar war. Aber Waldorflehrer? Das kam nicht in Frage. Doch Träume können erstaunlich hartnäckig sein. Es folgten weitere ähnlich «schräge» Aufforderungen in verschiedenen Träumen – so lange, bis in mir tatsächlich aus innerer Überzeugung der Gedanke reif geworden war: «Ich will Waldorflehrer werden, denn das ist wirklich ein anthroposophischer Beruf». Als ich meinen Entschluss Martin Kollewijn mitteilte, Berlin zu verlassen, um in Stuttgart ans Waldorf-Lehrerseminar zu gehen, war er betroffen, denn das bedeutete das Ende unseres Projektes. 

Ich arbeite in der Folge 18/7 wie ein Berserker an meiner Dissertation und stellte sie in wenigen Monaten fertig, um den Rücken frei zu haben. Nach nicht einmal einem Jahr verließ ich Berlin, um in Stuttgart Waldorflehrer zu werden. Das war 1984. 

Die Zeit in Berlin war außerordentlich dicht gewesen. Ich lebte im Anthroposophischen Studentenhaus «Bornstr. 11» zusammen mit anderen anthroposophisch orientierten Studenten – eine fantastisch-faszinierende Gemeinschaft. Etliche der damaligen Bewohner fühlen sich noch heute über Raum und Zeit hinweg verbunden. Mit etwa 7 bis 9 Studenten trafen wird uns ein Jahr lang jeden Tag [von Montag bis Samstag] in der Zeit von 6:30 bis 7:30 Uhr in Martins Kollewijns Zimmer und studierten Rudolf Steiners Briefe und Leitsätze zum Michael-Mysterium [GA 26]. Dann folgte für die meisten von uns das Universitäts-Studium bzw. für mich die Arbeit an der Dissertation. Anschließend tummelten Martin und ich uns in der vollen Hütte der philosophischen Heroen des 20. Jahrhunderts. 

Zu allem Überfluss übten wir Studenten uns damals in endlos langen Sitzungen in der Selbstverwaltung eines großen Berliner Mietshauses. Einmütige Beschlüsse waren unser Ideal, an das wir uns strikt hielten –  und on top kam noch das politische Engagement in der damals riesigen Friedensbewegung gegen den NATO-Nachrüstungs-Doppelbeschluss mit zahlreichen Veranstaltungen und Demos, die extrem laut waren, incl. Einkesselung mit Wasserwerfern und verschiedenen Räuber- und Gendarm-Spielchen mit der Polizei bis weit nach Mitternacht, um gegen 6:30 Uhr in der Frühe unausgeschlafen wieder in der Michaels-Runde zu sitzen. Zwischendurch lange Nacht-Fahrten nach Dornach zu verschiedenen Treffen der Jugendsektion unter der Leitung von Jörgen Smit [1916 – 1991]. In den Semesterferien renovierten wir in einer Art «Bauhütte» den fünfstöckigen Altbau mit Vorder- und Hinterhaus und legten selbst die neuen Fall- und Steigrohre oder neue Elektroleitungen. Rückblickend erstaunt es mich, aus welchen Kräften wir alle das damals bewältigt haben. Es ist lange her.

 

Was ich bis 2024 nicht wusste: Das Projekt einer philosophischen Auseinandersetzung zwischen Rudolf Steiner und der Philosophie des 20. Jahrhunderts hatte nicht wirklich aufgehört. In aller Stille arbeitete Martin Kollewijn alleine daran weiter, während ich einen anderen Weg einschlug und 1990 die «Philosophie der Freiheit» unter Anregung von Jörgen Smit für die Jugend umschrieb, nachdem ich fünf Jahre lang im Unterricht erste Erfahrungen mit Jugendlichen an der Michael Bauer Schule in Stuttgart gesammelt hatte. Und jetzt das: 2024 fragte mich Martin Kollewijn an, ob ich bereit wäre, sein Opus magnum «Wesenserkenntnis» Korrektur zu lesen. Selbstverständlich sagte ich zu. Ich empfand es als Gnade, dass er dieses Buch geschrieben und fertiggestellt hatte – trotz schwerer Erb-Krankheit mit ähnlichen Symptome wie bei Steven Hawkings, die ihm – wie dem Physiker – das Sprechen unmöglich machten und ihn an den Rollstuhl fesselten – aber bei gleichzeitig unvorstellbar klarem Geist.

Beim Lesen verschlug es mir die Sprache. Die Arbeit von Martin Kollewijn war in meinen Augen ein Jahrhundertwerk, das die Philosophie des 20. Jahrhunderts einerseits würdigte und andererseits durch die Anthroposophie Rudolf Steiners vertiefte.

Wundersamer Weise arbeitete ich selbst gleichzeitig am vorliegenden Buch und griff dabei – an einigen Stellen und in kleiner Dosis – den damals liegengelassenen Impuls auf, Rudolf Steiner ins Gespräch zu bringen mit der heute aktuellen Forschung.

Werte Leserin, werter Leser, das also ist die Geschichte hinter den Exkursen im vorliegenden Buch und es ist die Geschichte hinter der Widmung. Diese Exkurse wären nicht nötig gewesen, aber ich habe immer – so gut es mir möglich war – versucht, eine Forderung Rudolf Steiners ernst zu nehmen, dass nämlich der Lehrer auch ein wacher Zeitgenosse zu sein habe. Gewiss, damit ist in erster Linie gemeint, dass der Lehrer ein Genosse des guten Geistes unserer Zeit sein möge. Aber der gute Geist unserer Zeit kennt ungezählte verschiedene Mitarbeiter, die – meist ohne es zu ahnen – am selben Werk arbeiten,  jeder auf seine Weise.

Was aber das Projekt von Martin Kollewijn und mir betrifft, so erinnert mich der Sachverhalt, dass jetzt gleichzeitig zwei sich ergänzende Arbeiten vorliegen, an eine Zeile aus Hölderlins Gedicht «Lebenslauf»:

Doch es kehret umsonst nicht

Unser Bogen, woher er kommt.


Erscheinungsdatum: 2025
Seitenzahl: 266
Produktform: Broschur, Fadenbindung

Lieferbarkeit: Lieferbar

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