Geschichte des Goetheanum-Baus
Bevor das erste Goetheanum im September 1913 in Dornach errichtet werden sollte, war ursprünglich der sogenannte Johannes-Bau in München als Raum für Aufführungen von Steiners Mysteriendramen geplant. Dieser Bau wurde jedoch durch die Behörden der Stadt schließlich verhindert. Rudolf Steiner bekam danach durch Freunde das Grundstück auf dem Dornacher Hügel geschenkt. Er sagte dazu:
„Daß der Bau nicht hier [in München] aufgeführt wird, ist nicht unsere Schuld, es ist unser Karma. Es ist unser Schicksal, daß er an einem einsam gelegenen Ort aufgeführt wird, aber an einem Ort, der doch nach seiner lokalen Lage einige Wichtigkeit hat für das geistige Leben der neueren Zeit.“ - Rudolf Steiner, GA 286, S. 112
Architektur des Goetheanums
Die von Steiner entwickelte anthroposophische Architektur mit ihrem organischen Baustil wurde durch den Bau des zweiten Goetheanums maßgeblich geprägt. Typisch für anthroposophische Bauwerke ist, dass es nahezu keine rechten Winkel gibt und die Gebäude harmonisch (organisch) zur Umgebung gebaut sind. Besonders am Goetheanum ist der sogenannte Grosse Saal mit seinen Deckenmalereien und Glasfenstern hervorzuheben. Die Deckenmalereien des Grossen Saals sind nach Entwürfen Rudolf Steiners gemalt und zeigen unter anderem die Entwicklungsgeschichte der Menschheit durch die verschiedenen Kulturepochen. Die Fenster zeigen die verschiedenen Stufen der Einweihung und der Ich-Entwicklung, die der Geheimschüler auf seinem Erkenntnisweg durch Meditation und Selbsterkenntnis beschreitet.
Das erste Goetheanum als Ausdruck für den Einweihungsweg
Der erste Goetheanum-Bau, der erste Doppel-Kuppel-Bau überhaupt, spiegelte laut Rudolf Steiner durch seine künstlerische Gestaltung und Bauweise den Einweihungsweg wider, durch den sich der Mensch von seinem gewöhnlichen Alltagsbewusstsein zu seinem höheren Bewusstsein entwickelt.
"So wahr wir in uns tragen niederes, gewöhnliches Selbst und höheres Selbst, und sie doch wieder eins sind, so wahr muß unser Bau ein Doppelbau werden. Dadurch drückt er aus in seiner Form – nicht in symbolischer Weise, sondern in der Form selbst – die zwei Naturen des Menschen. Und indem man sich bei geöffnetem Vorhang im Bau fühlen wird, wird man ein Abbild des Menschen, nicht nur wie er im alltäglichen Leben ist, sondern des ganzen Menschen erfühlen. Und indem das der Fall ist, was gesagt worden ist, daß die Formen etwas wie eine Bewegung ausdrücken von Westen nach Osten, ist der Gang des gewöhnlichen Selbst zum höheren Selbst unmittelbar in der Form ausgedrückt." - Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Zweiter Band, dritter Vortrag, S. 83)
Das Bauwerk enthielt „Karmaschauen erweckende Formen“ (ebd. fünfter Vortrag, S. 96), deren dynamische Gestaltung so wirkte, dass der Mensch ein Bewusstsein für Reinkarnation und Karma entwickelte.
Das zweite Goetheanum als Ausdruck polarer Kräfte
Im Gegensatz zum ersten Goetheanum, das noch eher geometrisch gehalten wurde und nur in seinen Formen Dynamik enthielt, ist das zweite Goetheanum selbst von dieser Dynamik durchdrungen. Interessant ist die von Osten nach Westen immer stärker und ausgeprägter werdende Dynamik des Bauwerks.
"Es schiene im Osten des Baues im Inneren verborgen etwas zu entstehen, was im Westen seine Offenbarung und Verwirklichung hinaus in die Welt fände. So bringen sich in diesem Bau zwei polare Weltenkräfte zum Ausdruck. Die eine sei in sich verschlossen, verberge etwas in sich, tendiere in die Schwere (Osten), die andere wende sich nach aussen, teile sich mit und tendiere in die Leichte (Westen). Doch zeige sich in diesem Bau noch eine dritte Kraft, welche die ersten beiden ergreift und verbindet. Sie führt diese in eine gesteigerte Bewegung." - Anthrowiki-Eintrag Goetheanum